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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 23, S. 874

Text

874 ALTENBERG.

haupt, wie in anderen Räumen ist er oft, wie über Unbegreiflich-
keiten des Lebens grübelnd, wie auf den Kopf geprackt von Un-
erwartetem, zusammengepfercht, lebensunfroh. Wenn er aufbegehrt,
sich emotioniert, ist es wie ein Tyrann, der machtlos geworden
ist, roth wird auf seinem goldenen Throne und in leere Krönungs-
säle schreit. Wie ein störendes prasselndes irritirendes Unwetter
entladet sich manchesmal dieses neue ungeschickte, mit über-
flüssigen Emotionen angefüllte Leben der neuen Generationen,
der »anbrechenden Morgenröthen« über ihn, gleichsam die Geschoss-
salven aus den neuesten Geschützen und er sucht Schutz bei den
alten Göttern: Pflicht, Treue, Gehorsam! Sein krystallreiner Ver-
stand sieht wie Kassandra kommende Débacles, erhebt warnende
Rufe, die verhallen im Gedränge neuer Zeiten!

Dann verstummt er, sitzt in einem Lehnstuhle auf der Terrasse,
raucht, geht ins kalte Bad, erwärmt sich wieder durch Spazier-
gänge, kehrt zurück, sitzt auf der Terrasse, versinkt — — —.

Die »Essays« der bürgerlichen Gesellschaft lauten: »Er hat
seine Eigenheiten« und »Glaubst Du, dass er bequem zu behandeln
ist?!« und »oh, der — — —!?«

In seinem Lehnstuhl auf der Terrasse sitzt der Bismarck
seiner eigenen Lebensthätigkeiten, verdrängt von den jungen
stürmischen Königen und späht hinaus nach den »anbrechenden
Morgenröthen«!

Das stand im Gedenkbuche der Sommervilla.

Zwei Tage nachher war das Blatt herausgerissen — — —.

Da standen wieder nur mehr endlose, freundliche Verse
freundlicher Gäste der Sommervilla in dem grossen, schönen
Gedenkbuche, Seite um Seite.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 23, S. 874, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-23_n0874.html)