Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 912
Text
Stransky. Ja.
Frau Klein. Sie werden auch wissen, wie viel ein jedes der
Mädchen mitbekommt?
Stransky (edel). Dass weiss ich nicht, liebe Mama. Sie
dürfen mich doch für keinen Mitgiftjäger halten. Ich liebe Fräulein
Rosa.
Frau Klein (zärtlich). Verzeihen Sie, Armin, ich wollte Sie nicht
verletzen.
Stransky (abwehrend). Aber liebe Mama!
Frau Klein. Ja, ich wünsche stets Klarheit. Darum spreche ich
so offen mit Ihnen.
Stransky. Sie sind ganz wie ich, liebe Mama.
Frau Klein. Also, dass wir zum Schluss kommen, die Rosa
kriegt 15.000.
Stransky (milde ausbessernd). 20.000.
Frau Klein (ihn gross ansehend). 15.000.
Stransky. Aber, liebe Mama, Sie werden mir doch nicht
5000 Gulden abhandeln wollen? Fräulein Rosa bekommt 20.000.
Frau Klein. Sie sind im Irrthum, lieber Armin. Mein Gottseliger
hat der Rosa 15.000 vermacht.
Stransky. Liebe Frau Klein, so kommen wir nicht weiter. Der
Herr, der Herr — —, der Agent hat mir von 20.000 gesagt.
Frau Klein. Aber, ich schwöre Ihnen, Armin, bei dem Andenken
meiner seligen Mutter, Rosa hat nur 15.000.
Stransky (kühl). Also Sie wollen mir die 5000 Gulden durchaus
abziehen?
Frau Klein. Ja, ich kann da nichts machen, Armin. Das Geld
ist für jedes der Mädchen getrennt angelegt und so verclausuliert, dass
sich nichts ändern lässt.
Stransky (aufstehend). Da weiss ich wirklich nicht —
Frau Klein (in Verzweiflung). Warum haben Sie sich nicht in
die Grete verliebt?
Stransky (verblüfft). Wieso?
Frau Klein. Nun die Grete hat 20.000.
Stransky (in höchstem Erstaunen). Ja, ist denn Grete die ältere?
Frau Klein. Selbstverständlich.
Stransky (vernichtet in den Stuhl sinkend). Und ich habe Rosa für
die ältere gehalten.
Frau Klein (die Hände ringend). Das ist ja schrecklich?
Stransky (wie oben). Entsetzlich, grauenhaft. (Weinerlich.) Und
sehen Sie, Frau Klein, ich bin da ganz gebunden, ich kann nicht mit
15.000 heiraten. Ich habe eine alte gelähmte Mutter, ich habe ein
Geschäft, ich kann nicht mit 15.000 heiraten.
Frau Klein (schüchtern). Wenn Sie sich ein bissei einschränken —
Stransky. Ja, ja, aber die Mama. Sie gibt das nie zu.
Frau Klein. Wenn man ihr die Sache auseinanderlegen würde —
Stransky. O, Sie kennen meine Mama nicht.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 24, S. 912, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-24_n0912.html)