|
Wehe dem, der nicht gebettelt hat.
Es gibt nichts Grösseres als Betteln.
Gott bettelt. Die Engel betteln. Die
Könige, die Propheten und die Heiligen
betteln.
Die Todten betteln.
Alles, was im Ruhme und im Lichte
ist, bettelt.
Warum sollte ich es mir nicht zur
Ehre anrechnen, ein Bettler gewesen zu sein,
und noch dazu »ein undankbarer Bettler«.
Mit diesen Worten beginnt Léon Bloy
ein Tagebuch, das die äussere und die
innere Geschichte seiner letzten Jahre er-
zahlt.* Ein undankbarer Bettler ist Léon
Bloy von seinen Gegnern genannt worden,
und er hat diesen Namen angenommen,
eingedenk der Äusserung seines Freundes
Barbey d’Aurevilly, dass die schönsten
Namen, die Menschen trugen, von ihren
Feinden gegeben wurden. Sein Tagebuch
ist die Geschichte seiner Bettelarmut, die
Enthüllung einer ungeheuren Misère, aus
ihm schreit die Verzweiflung des Propheten,
den man stumm machen will, dem zeit-
lebens der Abgrund des Schweigens gedroht
hat, es ist ein Buch voll Hass, Rachsucht,
Hochmuth, Intoleranz und Fanatismus, und
zugleich ein einziges angstvolles Gebet an
den Gott, dessen Versprechungen ein tief
Gläubiger ernst genommen hat, dem das
Evangelium die Wahrheit von heute, die
einzige lebendige Quelle des Lebens ist.
Léon Bloy lebt im Mysterium, er wartet
auf das Wunder mit der Zuversichtlichkeit
der ersten Christen, die die Worte des
Meisters hörten, er ist ein harter Gläubiger
Gottes, der nicht die geringste von seinen
Forderungen nachlässt. Wie die alten
Mystiker, wie der Thauler, wie Jakob
Böhme, lebt er der Anschauung, dass man
von Gott alles fordern muss, dass dieser
nichts verweigern kann, und so sucht er
ihm im brünstigen Gebete seine Gnaden
zu entreissen, wie ein Verzweifelter an der
Pforte eines Hauses bettelt, das er anzu-
zünden bereit ist.
|
Seit vier Jahrtausenden leben die Juden
und die Christen in der Vorstellung eines
allmächtigen und prächtigen Gottes, un-
geschickte Leser eines erschreckend sym-
bolischen Buches. Aber es gibt nur einen
Gott der Armen, und Gott selbst ist der
Arme, der Ärmste, der ewige Bettler.
Man muss alles hingeben, alles verlassen,
um dem Herrn ein Almosen zu geben,
der nichts besitzt, nichts kann, der krank
ist an allen Gliedern, der übel riecht, der
vor Angst schreit seit Ewigkeiten und den
Anbruch des siebenten Tages erwartet.
Christus ist der Hungernde, der Dürstende,
der den Feigenbaum verfluchte, weil er
ihn nicht nähren wollte. Der Feigenbaum
ist das jüdische Volk, das den Armen
verstossen hat, und Christus wird nicht
eher von seinem Kreuz herabsteigen, als
bis die Juden sich bekehrt haben, die Juden
werden sich nicht eher bekehren, als bis
Christus von seinem Kreuz herabgestiegen
ist. Sie, die Unbekehrten, haben noch
heute den Erlöser in ihrer Haft, wie die
Kirche ihre Gefangene ist, und ihre Race
wuchert nur fort, um das Mirakel von dem
verfluchten Armen lebendig zu erhalten.
Das ist Bloys Gott, wie er ihn in seiner
Schrift »Le Salut par les Juifs« gezeichnet
hat, in der er die alte Verheissung Salus
ex Judaeis für unsere Zeit neu zu begründen
suchte. Mit diesem Gott allein will Léon
Bloy gegen die heutige gottlose Gesell-
schaft leben, durch sein Leben will er ihr
seine Existenz beweisen. Darum macht er
sich zum Bettler, ohne Zurückhaltung, ohne
Scham. Schämt euch nicht, das Almosen
zu verlangen, sagte der hl. Franciscus von
Assisi zu seinen Jüngern, ihr versprecht
hundertfältigen Zins, wenn ihr sagt: Gebt
für die Liebe Gottes!
Der Verfasser des Tagebuches hat über
seine Betteleien, über ihre Erfolge und Miss-
erfolge, sorgfältig berichtet. Er verlangt
das Almosen von Freunden und Feinden,
Bekannten und Unbekannten, Clerikern und
Laien, Männern und Frauen, Vornehmen
|