Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 11

Das Tagebuch eines Bettlers (Eloesser, Arthur)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 11

Text

ELOESSER: DAS TAGEBUCH EINES BETTLERS.

und Geringen, von Zola und Bourget, von
der Herzogin d’Uzès und Madame Séverine,
von dem Grafen Montesquiou und dem
Minister Hanotaux, die wenigen Freunde,
die ihm treu bleiben, setzt er in eine
dauernde Contribution. Bloy hat jeden
seiner Bittbriefe veröffentlicht, jede Ant-
wort, jede Gewährung, jede Absage, und
diese sind die häufigsten; denn dieser Mann
schreibt Bitten wie Befehle, er richtet seine
Briefe so ein, dass sie die geringste Wahr-
scheinlichkeit des Erfolges haben, und er
macht von vornherein kein Hehl daraus,
dass er ein undankbarer Bettler ist. Jede
mögliche Sympathie, jedes persönliche Mit-
leid weiss er durch schneidende Ironie und
durch unnachgiebigen Stolz so herabzu-
stimmen, dass die Wohlthat niemals dem
Bettler Léon Bloy persönlich, sondern
immer der Armut, seinem am Kreuze
schmachtenden Gotte gelten kann. So steht
er am Wege wie ein Vagabund, der die
linke Hand begierig öffnet und in der
rechten die drohende Keule hält. Wer hart-
herzig an ihm vorbeigeht, dem ruft er Ver-
wünschungen nach, oder wenn der Reiche
einen bekannten Namen trägt, erzählt er
eine schmutzige Seite aus seinem Leben,
manchem ruft er auch ins Gedächtnis,
dass er am Tische des Bettlers gesessen
habe, wenn dieser einige Goldstücke hatte.
Léon Bloy ist gefährlich als Feind, ge-
fährlicher als Freund. In seinem Tagebuche
kennt er weder Schonung noch Gnade,
geschweige denn die gewöhnlichsten Be-
griffe von Discretion und Höflichkeit; er,
der Ausgestossene, der Arme, der undank-
bare Bettler, hat ja gegen die Gesellschaft
keine Pflichten und keine Art von Er-
kenntlichkeit zu üben. Er will Ärgernis
bereiten, Scandal erregen, aber nicht zur
Freude schadenfroher Dritter. Denn er
compromittiert alles, was ihm in den Weg
kommt, und er schlägt nach allen Seiten,
Verwunderung, Hass und Verachtung
erntend. Wer ist dieser schlimm-heilige
Beter und Flucher, dieser glühende
Mystiker und erbitterte Menschenfeind?

Fast zwei Jahrzehnte schon sind wir
die Zeugen einer religiösen Renaissance in
der europäischen Literatur. Tolstoi brachte
die Religion des menschlichen Leidens, er
entdeckte im Urchristenthum als Kern den
Ascetismus; Verlaine, der arme grosse

Dichter sah, von Absinth und kindlicher
Sehnsucht berauscht, den Himmel sich
öffnen und die Jungfrau Maria ihm gütig
zulächeln; Huysmans schilderte in einem
vierbändigen Berichte seinen Weg von der
Decadence bis zur Schwelle des alten
Glaubens; Strindberg erzählte jüngst von
seinen Kämpfen mit dem Teufel und von
seiner Hölle auf Erden. Mit diesen Bekehrten
und Bekennern lief eine Menge von Leuten
mit, die auch das Heil der Seele erworben
zu haben glaubten, Mysticisten und Mysti-
ficierer, die mit den literarisch gewordenen
Requisiten des Glaubens spielten und in
der Nacht der Mysterien symbolistischen
Unfug trieben. Viele giengen hin, um sich
an den neueröffneten Quellen zu berauschen,
sie trieb die Angst, die Sehnsucht, Ekel
am Dasein, Verzweiflung an Wissen und
Wissenschaft. Die Künstler wollten Priester
werden, ihre Werke sollten Opfer und
Gebete sein. Es war ein Weihrauchnebel,
ein Rausch, an dem jeder sein Theil haben
wollte und auch die Nüchternen machten
dionysische Sprünge, sie tanzten, bis sie
die Erde nicht mehr unter ihren Füssen
fühlten. Andere geisselten sich, sie zählten
ihre Sünden auf, sie genossen sie noch
einmal, durch die Furcht vertieft und
gewürzt; es war eine grosse Beichte, zu
der das Publicum geladen war, und man
ertheilte sich selbst die Absolution.

Léon Bloy gehört nicht zu diesen lust-
vollen Bekennern des modern gewordenen
Mysticismus, zu diesen Bastarden eines
eklektisch behandelten Katholicismus, er
ist der geborne Katholik, der absolute,
intransigente, intolerante, wie es sein Freund
Barbey d’Aurevilly war. »Jede andere
Doctrin als der Katholicismus ist verworfen
und pervers«, so schrieb der ritterliche
Connetable des Glaubens, und dieser ein-
zige Satz war auch die Parole seines
anderen Freundes, Ernst Hello, der fast
unbekannt starb und der nunmehr mit
seinem Hauptwerk »Der Mensch« einen
tiefgehenden Einfluss auf die Speculationen
der französischen Mystiker gewonnen hat.
Diese drei Männer gehören zusammen,
Hello ist ihr reinster Typus. Er zählt
zu denen, die nie gezweifelt haben, er
suchte die Wahrheit nicht, er hatte sie,
daher der Hochmuth, mit dem er den
Lauen, den Zweiflern und Freigeistern

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 1, S. 11, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-01_n0011.html)