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weil es lebendig, bewegt und fruchtbar
ist, es ist darum nützlich, weil es har-
monisch und lieblich ist.«
Der Glaube an diese Worte war die
Schönheit des Griechenthums. Warum
soll der, welcher das Haus des Lebens
verlässt, von einem hässlicheren Diener
geleitet werden, als jener Engel war, der
an den Morgenthoren seiner Tage gesessen?
Hässlichkeit ist verkehrtes Sehen.
Einen circulus vitiosus würde aber der be-
gehen, welcher, gestützt auf den Satz, dass
Hässlichkeit nicht besteht, sein »verkehrtes
Sehen« für schön hielte und demjenigen
das Gewand entreissen wollte, dem es an-
gemessen schiene, verhüllten Hauptes
durch diese Zeit zu wandeln!
Am deutlichsten hat sich jener gothische
Gegensatz zwischen Leben und Schön-
heit in England vollzogen, welches mit
seinem Gegenpol Hellas gemein hat, dass
es seine Lebensformen, seine Cultur orga-
nisch und kaum beeinflusst aus sich selbst
erzeugte. Hier fühlt sich der Deutsche
fast als Hellene. Die Cultur einer bevor-
zugten Classe strebt über den Horizont der
schwarzen Handelsstädte hinaus, so wie
die Thürme einer gothischen Kathedrale
über das Gewühl des Marktes emporsteigen
in die glockendurchklungene Bläue, wohin
kein Ton aus den wirren Gassen zu dringen
vermag. Die Griechen haben keine Thürme
gebaut. In bunten, statuengeschmückten
Gängen, welche die Plätze umzirkten,
fühlten sich Künstler und Philosophen von
der Woge der Menge umschlungen, die
sie unbemerkt mit sanfter Hand zu lenken
wussten. Der Brite hat Städte aus schwarzen
Riesenhallen gebaut, voll feuer- und pest-
speiender Schlote und tosender Maschinen.
Er hat etwas geschaffen, was allein d. h.
»verkehrt« gesehen, von entsetzlicherer
Hässlichkeit ist, als sie die gothische
Phantasie Dantes ersonnen hat. Doch vor
diesem Anblick flieht er in sein Haus, wo
ihn nicht das Leiseste an seine Wirklich-
keit erinnern darf. Von seinem Neger-
dasein ruht er an einem Sonntag, an
welchem jegliche Thätigkeit stockt. Der
Hellene bedurfte keines regelmässig wieder-
kehrenden wöchentlichen Festtages, da er
dem Werktag etwas Festtägliches zu ver-
leihen wusste. Der Sonntag des Südländers
bedeutet noch heute keine völlige Ein-
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stellung aller Thätigkeit. Der deutsche
Feiertag ist ein Übergang zu dem eng-
licshen, wie überhaupt das deutsche Leben,
örtlich betrachtet, ein Übergang vom
Hellenismus zur Gothik, zeitlich gesehen
ein solcher von der Gothik zum Helle-
nismus ist.
Die englische Gesellschaft hat sich in
ihren Häusern geradezu verschworen gegen
die Hässlichkeit und fand künstliche Mittel,
sich vor ihr wie vor der Kälte zu schützen,
die der Nordländer in seinen durchwärmten
Räumen weniger fühlt als der Römer, der
aus den sonnigen Strassen schauernd seinen
kalten Palazzo betritt. Der Hauptunterschied
des nordischen Lebens von dem südlichen
ist die Absichtlichkeit, die Bewusstheit, zu
welcher eine stets feindliche Natur den
Menschen zwingt gegenüber jener bequemen
Zufälligkeit, in welcher man sich sanft
weiterschieben lässt, ohne des Weges zu
achten. Jene Absichtlichkeit des Engländers
wendet sich auf eine ungemein sorgsame
Ausgestaltung der Innenräume, welche ihn
gegen die ununterbrochenen hässlichen
Bilder der Strasse abschliessen müssen.
Die Regeln der Geselligkeit hat man
ernster bedacht als dort, wo das Leben
die Menschen stets zufällig mit sanfter
Hand zusammenführt. Man hat alle Mög-
lichkeiten vorausgesehen und jeder Wunde
einen Balsam gesucht. Für einsame Stunden
füllte man die kleinen behaglichen Räume
mit Bildern und köstlichen Büchern, für
die Gäste hält man auserlesenere Speisen
und wohnlichere Räume bereit, dass sie
ja nicht durch einen rauhen Luftzug von
der Strasse her erschreckt würden, während
man im Süden durch Balkone, sowie jene
reizenden Terrassen vor den Kaffee- und
Speisehäusern die Berührung mit der Strasse
geradezu sucht. Von den Kaminen jener
behaglichen englischen Räume aus ist es
dann süss über das Leben draussen zu
reden, ja man ist versucht, bisweilen vor
die Schwelle zu treten und sich das Haar
wie im Spiel vom Wind zerzausen zu
lassen, mit dem heimlichen Gedanken, die
Flamme des Kamins dann noch mehr
lieben zu können. Plötzlich nimmt das
Leben ein anderes Aussehen an, man hört
auf an die Ursachen seiner Schwärze zu
denken, man lauscht nicht wie im Süden
der Sprache der Dinge, man lässt sich
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