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nicht zu Reflexionen verleiten; rein male-
risch beginnt man zu schauen und in jenen
schwarzen Strassen etwas Geheimnisvolles
zu finden, welches, ohne literarische Asso-
ciationen, allein durch die Dunkelheit er-
zeugt wird und das Gegentheil jenes
Grauens ist, das uns beim Betreten von
Katakomben wie das Schicksal einer todten
Welt auf die Seele fällt. Es ist die Wollust
im Dunkeln zu sein, von ihm umkost zu
werden. Man möchte die Dunkelheit um-
armen, in ihr baden, sie trinken, sich ganz
von ihr erfüllen lassen; nicht als habe
man nun das Licht in der scheinbaren
Finsternis, das Princip in der Verwirrung
gefunden, sondern man liebt jene Finsternis
um ihrer selbst willen, man frohlockt über
die eigene Blindheit in jener Perversität,
von welcher der Evangelist sagt: »und
die Menschen liebten die Finsternis mehr
als das Licht«, eine halbunbewusste Per-
versität, die wie so viele andere Velleitäten
unseres Seelenlebens vielleicht ein Ata-
vismus von Lastern ist, welche die nach-
sündflutliche Menschheit vergessen hat.
Diese perverse Liebe zur Finsternis wacht
beständig unter den dunkeln Fluten gothi-
scher Kunst, aber sie ist bedeckt von jener
weissen Nenuphar, die ihre Blätter über
den schwarzen Wasserspiegel deckt von
dem lächelnden Antlitz der virgo imma-
culata.
Tausender flehende Arme recken sich
aus den Abgründen empor; sie flehen nicht,
dass sich die Felsenwände mit Blumen
bekleiden möchten, dass sich die Dunkel-
heit in Licht verkehre. Was sind ihnen
jene Felsen! Sie wollen über sie hinaus
in das Licht, um den Jammer der Mit-
leidenden nicht mehr zu vernehmen. Sie
haben es nie versucht, die Schönheit in
ihre Abgründe zu rufen. Schönheit und
Leben scheinen ihnen unvereinbar.
In dieser strengen Scheidung liegt zu-
gleich — so verkehrt und spleenartig sie
ist — die organische Logik, die bewusste
Geschlossenheit der englischen Cultur.
Niemals haben diese Handelsstädte mit
ihren nackten schwarzen Häusern Anspruch
auf Schönheit gemacht; niemals hat diese
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von der »Gentry« streng geschiedene,
handeltreibende Bourgeoisie in Culturfragen
mitgezählt. Die Schönheit hat ihren eigenen
Tempel, dort aber herrscht in verdichteten
Formen ein Cult, der an Feierlichkeit
seinesgleichen wohl in keinem Lande des
halbcultivierten Continents findet. — Das
vollständige Fehlen jener bürgerlichen
täuschenden Halbcultur des Continents ist
es, was zuerst beim Betreten Englands
erschreckt — die unverblümte Hässlich-
keit nach aussen; aber das Entdecken
einer in alter Überlieferung wurzelnden,
an der Gegenwart genährten wahren
Cultivierung einer einzelnen auserlesenen
Kaste bewirkt eine überraschende Ver-
söhnung.* In Deutschland und Frankreich
hat man die ungeschlachten Häuser mit
strotzenden Façaden überladen. Durch
diesen carrikierten Hellenismus glaubt man
Schönheit in das Leben zu bringen; doch
ist es gerade dieser Glaube, welcher ver-
ursacht, dass die Schönheit unserem Leben
fern bleibt: sie findet den Platz durch
eine vorgebliche Schönheit besetzt. Der
Dilettantismus ist gefährlicher als voll-
kommene Barbarei, da er nicht nur keine
Cultur ist, sondern auch jeder Möglich-
keit einer solchen den Weg versperrt oder
mindestens erschwert.
Ich möchte diese eben erwähnten
Façaden mit der »allgemeinen Bildung«
vergleichen, worauf unser Volk so stolz
ist. Ihre Schulbildung, Reisen, Sprach-
kenntnisse und Musik machen die Deutschen
ganz gewiss zum gelehrtesten Volk der
Welt. Sind Sie darum das cultivierteste?
Unser Volk ist mit seiner »allgemeinen
Bildung« der Allgemeincultur Griechen-
lands ebenso fern als jener Kastencultur
in England. Indem wir vergeblich nach der
Allgemeinheit des Griechenthums ringen,
verlegen wir uns den Weg nach einer
germanischen Cultur, die vorläufig nur
gothisch, d. h. der englischen verwandt
sein kann. Fühlen sich unsere cultivierten
oder culturfähigen Persönlichkeiten — an
denen es in Deutschland augenblicklich
nicht fehlt — erst als eine Classe, so
wird es von dieser Höhe aus nicht allzu-
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