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Meere spielend, von allen Zwielichtwun-
dern der Seltsamkeit voll, aus Nacht, Krank-
heit und Todessehnsucht in den Hymnus:
»Sonne, du jubelnde Flamme« aufblühen
sollte — und das vielleicht nur deshalb
nicht vollendet ist, weil von seiner Grund-
stimmung des Sonnenjubels der Plan der
»versunkenen Glocke« sich vollsog. Haupt-
mann aber empfindet die Einheit der Grund-
stimmung eines Werkes so sehr als das
Wesen seiner Kunst, dass er sich gezwun-
gen fühlt, auch ihre Einzigkeit durchzu-
setzen, und dass er glauben würde, sich
zu wiederholen, wenn er, bei übrigens
vollständiger Verschiedenheit in der Hand-
lung und in den Charakteren, zwei Werke aus
derselben Stimmung herauswachsen liesse.
Wiederum, die Anfänge der »versun-
kenen Glocke« reichen sehr weit zurück;
sie sind schon in einem im Jahre 1893
in Amerika aufgezeichneten Entwurf zu
einem Märchendrama erkennbar. Nach
dem Erscheinen der »versunkenen Glocke«
beschäftigten Hauptmann verschiedene Ar-
beiten, unter denen vorerst keine war,
welcher ein Stoff aus dem realen Leben
zugrunde lag. Die wichtigsten unter ihnen
waren der arme Heinrich, der Schmied
Wieland, und vor allen das Drama, von
dem unter dem Titel »das Hirtenlied«
Kenntnis in die Öffentlichkeit gedrungen
ist, und das ursprünglich »Patriarchenluft«
heissen sollte. Es führt einen Künstler
vor Augen, in der äussersten Noth, der
im Wachtraum in die Gestalt des biblischen
Jakob transfiguriert wird und das grosse
Drama zwischen Jakob, Rahel, Lea und
Laban durchlebt.
Was bis jetzt von dem Werk vor-
handen ist, ist von jener höchsten Schön-
heit, die es dem Herzen, sobald es sich
nur an sie erinnert, verwehrt, je ganz
unglücklich zu sein. Rafaelische Menschen
würden in der Sprache dieser Dichtung
reden; das hat ein Freund des Dichters
gesagt, ein Maler, der in der Reife und
Weisheit seiner Kunstanschauung wieder
zur Bewunderung Rafaels gekommen ist.
Ein Klang ist darin aus der letzen, lauter-
sten Tiefe, den das im Alltag unruhige
Herz kaum erträgt. Und so endgiltig und
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wahr ist das alte Thema vom Leben als
einem Traum entwickelt, dass dagegen
Calderons Drama wie Spiel und Experiment
erscheint.
Mit dem ersten fertigen Act dieses
Gedichtes und beträchtlichen Stücken des
zweiten reiste Hauptmann im Frühling
dieses Jahres nach Italien. Am Luganer-
und am Comersee arbeitete er abwechselnd
daran und an einem behaglichen Lustspiel.
Beide Arbeiten wurden dann plötzlich
entschieden unterbrochen.
Hauptmann hatte im Winter von den
damals noch als Manuscript vorhandenen
Novellen eines Landsmannes gehört. Sie
hatten ihn interessiert. Die Witterung
des Kenners hatte aus allerlei Anzeichen,
etwa gar dem Titel der einen Novelle:
»Meicke, der Teufel« — und Meicke ist
ein schwarzer zottiger Hund — die ernste
Bedeutung dieses Dichters geschlossen.
Sein Name ist Hermann Stehr, die
Novellen haben schlesische Menschen aus
dem Volke zu Helden. Dieser letztere Um-
stand war es, der in Hauptmann den Wunsch
anregte, wieder einmal in das Leben
seiner Heimat zu greifen und es in
dichterischer Gestaltung erstehen zu lassen,
das eine kleine Welt für sich vorstellte.
Und diese ganze Welt sollte, gesehen von
einem tragischen Einzelschicksal aus, auf-
leben; und sollte auch ursprünglich dem
Stück den Namen geben. »Im Rautenkranz«
sollte es heissen, auch andere stimmung-
gebende Namen von Gasthäusern wurden
erwogen, bis schliesslich doch der im
Mittelpunkt stehende Charakter den Namen
»Fuhrmann Henschel« bestimmte. Haupt-
mann entwarf das Stück sehr schnell und
schrieb es bis auf Schwankungen im
letzten Act ganz durch. Auch dieses
Manuscript wanderte mit nach Italien, blieb
aber zu Gunsten der oben genannten
Arbeiten liegen.
Da brachte das Maiheft der »Neuen
Deutschen Rundschau« die erste ge-
druckte Erzählung Hermann Stehrs: »Der
Graveur«.* Die Wirkung auf Hauptmann
war ausserordentlich, seine Erwartung über-
troffen. Tagelang beschäftigte er sich mit
nichts anderem. »Der hat uns schön in
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