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den Sand geworfen,« sagte er lachend vor
Bewunderung. Dieser mächtige Eindruck
in Verbindung mit einer leichten Krank-
heit, die vermuthlich von den infernalischen
Kochkünsten des italienischen Wirtes ver-
ursacht war, drängte die Arbeiten Haupt-
manns zurück, und liess ihn den Ent-
schluss fassen, in einer Art von freudigem
Wettstreit den »Fuhrmann Henschel« zu
vollenden. Der Aufenthalt in Italien neigte
sich ohnedies seinem Ende zu, und die
Rückreise wurde angetreten. Nach der
Rückkehr wurde dann die endgiltige
Fassung des »Henschel« festgestellt; die
Arbeit gieng in dem ruhigen Tempo vor
sich, welches der sichere Besitz aller An-
schauungen und Absichten mit sich bringt;
zuweilen wurden nur wenige Zeilen an einem
Tage festgestellt und Unterbrechungen
durch andere Stimmungen, insbesondere
durch solche zum Wieland, wurden nicht
zurückgewiesen. Eines Tages war so das
Drama vollendet.
Diese kurze Darlegung schien mir noth-
wendig, um die schnellen Literarhistoriker
zur Vorsicht zu mahnen.
Nichtsdestoweniger wird man vielleicht
einst ein Recht haben, die zeitliche
Stellung des »Fuhrmann Henschel« nach
der »versunkenen Glocke« mit seiner
classischen Eigenart in Zusammenhang zu
bringen.
Das Drama »Fuhrmann Henschel« ist
reich, so reich wie das Lebendige ist; die
Handlung darin ist sehr einfach.
Der Fuhrmann Wilhelm Henschel ist
ein Mann von etwa 45 Jahren, stark wie
ein Athlet, gut wie ein Kind, allgemein
geachtet und in Vermögensumständen, die
sich stetig bessern. Seine Frau hat ein
Kind gehabt und ist nach der Geburt zu
früh aufgestanden. Sie ist tödtlich krank
geworden. Sie grämt sich in der Furcht,
dass ohne sie die Wirtschaft vernachlässigt
werde, und noch mehr in dem Gedanken,
dass das eigentlich nicht geschieht. Es ist
eine junge Magd im Hause, Hanne, eine
stramme, arbeitstüchtige, arbeitswüthige
Person. Henschels Verhältnis zu ihr ist
offenbar während der Krankheit der Frau
intimer geworden. Frau Henschel aber, in
dem ganzen Ohnmachtsgefühl des Kranken,
der überflüssig und Mittelpunkt zugleich
ist, vermuthet stattgefundene schlimmere
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Beziehungen zwischen ihrem Mann und
der Magd. Sie glaubt vielleicht im Grunde
selber nicht an ihren Argwohn, aber sie
braucht den Reiz seiner Bitterkeit. Und
zudem ist ihrer zarteren Natur das rauhe,
rücksichtslos egoistische Wesen der Magd
äusserst zuwider. In einem heftigen Anfall
eifersüchtigen Grams nimmt sie, kaum über
ihren Verdacht beruhigt, ihrem Manne
das Versprechen ab, nach ihrem Tode
nicht die Hanne zu heiraten. Henschel
gibt ihr die Hand darauf: »Nu is’s aber
gutt. Nu luss mich mit sulcha Sacha zu-
friede!«
Frau Henschel ist gestorben. Ihr
Mann trauert ihr nach. Aber das
Leben geht weiter und stellt seine
Anforderungen. Geschäft und Haus-
wesen, das hinterlassene Kind der Todten
verlangen eine Frau. Hanne macht
sich immer unentbehrlicher und richtet
sich ein. Sie gibt ihrem Liebhaber den
Abschied; sie besorgt das Kind, ist fleissig
für zwei, hilft dem langsamen Henschel
mit ihrem primitiven, wirksamen Finanz-
genie und lässt alle ihre Vorzüge und
ihre Unentbehrlichkeit durch die plump
geschickte Androhung, ihren Dienst zu
verlassen, eindringlich werden. Henschel
schüttet sein Herz voll Sorgen dem Hotel-
besitzer Siebenhaar aus, in dessen Hause er
wohnt. »Heiraten Sie, Henschel,« räth
Siebenhaar. Henschel gibt zu, dass das
das Beste wäre. Aber ganz unmerklich ist es
ihm natürlich geworden, dass »heiraten«
»die Hanne heiraten« bedeutet. Und daran
hindert ihn sein Versprechen. Siebenhaar
mag die Hanne nicht, aber als stiller Kenner
des Lebens weiss er auch, dass jedes
Menschengehirn seine eigene Nothwendig-
keit hat. Doch versucht er eine leise
Abschreckung: »Sie soll ja ein Kind haben,
sagen die Leute.« »Se hot a Kind«, ant-
wortet Henschel. Er hat sich längst
danach erkundigt; aber es macht ihm
keine Bedenken. Er kann nicht verlangen,
dass das vollblütige Weib auf ihn hätte
warten sollen; ihn hindert nur sein Ver-
sprechen. Und dieses Bedenken redet ihm
Siebenhaar aus. Er stellt ihm vor, dass
die Beruhigung eines kranken Wahnes
nicht sein Leben zerstören dürfe. Auf-
athmend zu neuer Freiheit, deutet Henschel
Hanne seinen Entschluss an, und berstend
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