Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 3, S. 56
Text
Stimme (auf der Gartenmauer, von einer leisen Musik begleitet, halb Gebet, halb Lied).
So liebst Du nicht mehr dieses gastliche Haus,
Phöbos Apollon?
Und liebtest es doch und hast einst nicht verschmäht,
Phöbos Apollon,
Hier dienend im Hause, ein weidender Hirt,
Zu führen die Herde auf Heide und Hald’
Und mit tönendem Rohr zu berauschen den Wald
Herr, Phöbos Apollon!
Da kamen die Luchse und weideten mit,
Da folgten die Löwen dem Klang und dem Schritt
In feuerfarbenem Rudel,
Gebunden von süsser Gewalt,
Um Deine Zither die bunten Reh’
Hintanzten und liessen für Deine Näh’
Den dunklen schweigenden Wald!
Vergisst Du, Apollon, so bald,
Die sterblichen Menschen so bald?
Apollon (während des Liedes von links aufgetreten, geht langsam gegen das Haus zu,
blickt durch das Thor ins Innere):
Sie rufen mich und singen, dass ich einst
In diesem Königshaus, obwohl ein Gott,
Als Hirte an dem Tisch des Sclaven sass.
Nicht ungern, fast mit Wehmuth denk’ ich dran,
Weil immer doch Vergang’nes lieblich ist
So kam es: meinen Sohn erschlug mir Zeus
Mit bösem Blitz; da gieng ich hin und schlug
Ihm die Kyklopen, seine Knechte, todt,
Des Blitzes Schmiede; dafür zwang mich er
Zu dienen einem Sterblichen, Admet,
Dem König, der in diesen Gauen herrscht.
Das ist vorbei; doch ich gewann ihn lieb
Den Menschen, meinen Herrn, und weil sie so
Am Leben hängen, diese Sterblichen,
So gieng ich zu den Schicksalsgöttinen
Und bat für ihn und die gelobten mir,
Er mag dem Tode, der ihm droht, entflieh’n,
Wenn einen andern er hinunterschickt
Statt seiner, aber einen, der so will.
Da lebt er zwischen Scham und Todesangst
Und fragte; und die Frage, kaum gethan,
Gereut ihn, und er wäre lieber todt
Die alten Eltern hatten ihn gehört,
Allein sie schauerten und schwiegen still. —
Da trat sein junges Weib lautlos vor ihn
Und sagte: »Herr, ich sterbe gern für Dich
Ich flehe, anstatt Deiner gib mich hin!«
Da war’s erfüllt und Todesgötter, die
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 3, S. 56, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-03_n0056.html)