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Ibsens Kunst ist wie der wunderliche
Spiegel in Andersens Märchen von der
»Schneekönigin«, dem die Welt die
lächerlichen und niedrigen Seiten am
Ernsten und Hohen hergeben musste.
Nur dass uns solch ein Spiegel längst
nicht mehr trügerisches, verdammenswertes
Teufelswerk dünkt, sondern dass wir
vor ihm wirklich im tiefsten erschrecken
und plötzlich erkennen, dass unsere Zeit
irgendwie gewogen und zu leicht befunden
worden sein muss. Denn wo ist das Grosse,
so fragen wir uns, das sich nicht an der
Berührung mit dieser Zeit zersetzte? Wo
ist der Ersehnte, der Auserwählte, der
ihr standhielte?
In Ibsens Kunst, diesem wunderbaren
Zeitspiegel, empfinden wir das alles mit be-
klemmender Deutlichkeit. Ibsen sucht nach
dem Erwählten; aber er vermag ihn nicht
zu finden. Der frohe Held, der lachende
Sieger, der »Glücklichste«, der ahnungslos
die grössten Thaten vollbringt, gelingt
nicht seiner gestaltenden Hand. »Das
Geheimnis der Erwählung ist furcht-
bar«: es sind diese Worte Makrinas an der
Leiche von Julian Apostata — eines, der
auch erwählt zu sein wähnte — die er
gleichsam über all seine Helden, die Helden
des krampfhaften glücklosen Wollens,
sprechen lassen muss. Die Zeit will es so.
Und mehr als das! Sie lässt sein über-
scharfes Auge durch die Tragik dieses
Geschickes dringen und die bittere Komik
gewahren, die in dem sich über seine Kraft
täuschenden Wollen liegt, wie in dem
Starken, das mit der allgemeinen Schwäche
der anderen zusammenprallt. Ibsen lüftet
gleichsam zwischen den Zeilen wieder das
schön mit Worten gestickte Kleid, mit
dem er seine Gestalten sich bedecken lässt,
und zeigt die ängstliche Nacktheit darunter.
Oder er lässt es sich lächerlich prunkvoll ab-
heben von der Dürftigkeit seiner Umgebung.
So müssen die Propheten, die der Menge
Adel, Kraft und Grösse zu predigen kommen:
die Brand und Doctor Stockmann oder
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Johannes Rosmer, zu seltsamen Narren
werden, welche überall zum Schrecken der
Menschheit die »ideale Forderung« prä-
sentieren wie Gregor Werle, oder welche,
wie Ulrik Brendel, dieser bekehrte heim-
liche Geistessybarit, die Taschen leer finden,
wenn sie endlich ihre vermeinten inneren
Schätze dem Volke spenden wollen; denn
die, die sie besitzen, sind niemandem et-
was nutze! Narren ihrer Heiligkeit sind
sie, närrische Märtyrer, denen niemand
dankt.
Aber die eigentlichen Helden Ibsens
sind freilich die, welche sich nicht an die
»compacte Majorität« wenden — es sei
denn, sie nicht gross, sie nur noch von
oben her glücklich zu machen, wie Solness
und Borkmann es wollen — es sind die
auf sich selbst gerichteten Rücksichtslos-
Wollenden. Und was wird aus ihnen
unter dem Fluch der Glücklosigkeit, dem
sie verfallen sind? Gut, wenn sie noch
wie der Jarl Skule der »Kronprätendenten«
als »Stiefkinder Gottes auf Erden« ge-
boren sind, »um zu sterben«, aber doch
ungebeugt zu sterben. Oder wenn sie wie
Kaiser Julian — der mit »Tinte an den
Fingern« und »Bücherstaub im Haar« die
»alte Schönheit« sucht — nur dazu be-
stimmt sind, als »reine Schlachtopfer der
Nothwendigkeit« zu fallen, und die rast-
los bekämpfte »neue Wahrheit« glorreich
aufrichten zu helfen. Gut auch dann noch,
wenn sie sind wie jener Baumeister, den
das eigene »schwindlige Gewissen« von
den Thürmen stürzt, die er denn doch
selbst gebaut hat; oder wie jener Macht-
gewaltige über »des Goldes schlummernde
Geister«, den erst als Gescheiterten die
»eiserne, traumlose Wirklichkeit« zum
harrenden Narren macht.
Alle die andern aber, die hat ihr
eigenes Wollen von Anfang an zu Narren
gemacht, zu Narren der erstarrten Selbst-
sucht, nicht mehr »sich selber treu«, nur
noch »sich selbst genug«, wie der alte
Trollgeist dem Peer Gynt auseinandersetzt.
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