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Denn die Lyngstrand und Robert Helmer
und Eilert Lövborg, die Hjalmar Ekdal
und Alfred Allmers — wer anders ist
ihr Ahnherr als jener Peer Gynt, dem
auch sein kostbares Selbst in der Illusion
von sich selbst ertrank? Und wenn sie
auch nicht gerade auf Böcken mit »vier-
zehn Enden« in die Gebirgsabgründe reiten
und ein Kaiserreich Gyntiana aus Meer
und Wüste zu stampfen meinen, so
tragen sie doch nie ausgefüllte Künstler-
bestimmungen heilig in der Brust, oder
schliessen sich alle Tage nach dem Essen
ein bischen im Wohnzimmer ein, um Er-
findungen zu machen; oder sie schreiben
Bücher über die »menschliche Verant-
wortlichkeit«, oder stehen steif mit der
Hand zwischen zwei Rockknöpfen jedesmal,
wenn es klopft, um die Abgesandten an-
gemessen zu empfangen, die sie zu grossen
Thaten zu berufen kommen. Und dafür
haben sie nicht einmal mehr die Kraft
der Reue, welche Peer Gynt als greisen
Bettler über die brandige Heide treibt,
hinter den welken Blättern und dem mürben
Staub seines ungelebten Lebens her, und
so brauchen sie auch die Erlösung nicht,
die dieser findet, oder den Tod an der
Erkenntnis ihrer selbst, wie ihn Solness
und Borkman sterben.
Was aber treibt sie alle im Grunde
so unstet umher in einem nie endenden
Kreise und zerrt ihr Wollen herab bis
ins Widersinnige und Illusionäre? Ist hier
nicht auch der alte Widerstreit thätig, den
schon Kaiser Julian durchfocht zwischen
dem wilden Durst des eigenen kaiserlichen
Selbst und der Forderung des »räthsel-
vollen schonungslosen Gottmenschen«, des
Galiläers? Ist es nicht immer diese »un-
bedingte unerbittliche Forderung«, an der
sie nicht vorbei können, welche ihre Kraft
unterhöhlt und ihr Gewissen schwindlig
macht? Schon Julian, der sich darnach
verzehrt, das Unvereinbare zu vereinen:
das ist, dem Kaiser zu geben, was des
Kaisers, und Gott, was Gottes ist, weiss
es ja, dass die alte Schönheit nicht länger
schön ist, so wenig wie die neue Wahrheit
länger wahr. Aber er weiss auch, dass
eine neue Offenbarung kommen muss oder
die Offenbarung von etwas Neuem. Sollen
Ibsens spätere Werke dies Wissen Lügen
strafen?
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Fast könnte man es meinen. Und
doch gibt es in ihnen, langsam erkennbar,
etwas, woran die Hoffnung auf eine neue
Schönheit sich knüpfen könnte. Vielleicht
ist diese Hoffnung, die hier aufglimmt,
nur eine selbstgewollte Illusion, die letzte
des desillusionierten allzuscharfen Sehers,
so etwas in der Noth Erbetteltes, wie Ulrik
Brendels »abgelegte Ideale« — gleichviel:
in dem Masse, in dem Ibsen den Mann
dem Neuen gegenüber als ohnmächtig sich
erweisen lässt, in dem Masse legt er eine
Kraft der Erneuerung in die Seele der
Frau. — Wie aber ist die Frau beschaffen,
die er hier meint? Immer sind es zwei
Frauentypen, die sich bei ihm schroff
gegenüberstehen, zwei Typen, in denen
der alte Widerstreit scharf wie nirgends
sonst zur Erscheinung kommt. Zunächst
die Frauen mit der selbstlosen opfer-
muthigen Liebeskraft in den früheren
Werken Ibsens, und die späteren mit dem
Hunger nach den grossen Pflichten des
Lebens. Zu diesen gehören etwa Frau
Linden, die Freundin Noras, und die Tante
Julie der Hedda Gabler, mit ihrer rastlosen
Sucht, jemanden zu haben, für den sie
arbeiten, für den sie leben können; oder
Martha Bernick und Petra Stockmann mit
ihrem unablässigen Drang zu nützen und
thätig zu sein; oder die armen Opfer ihrer
Pflichtgespenster: Frau Aline Solness und
Beate Rosmer. Sind in diesen mühsam sich
Aufringenden, mit der ererbten zahmen Ge-
wohnheit der Hausgebornen im Blut, schon
Kräfte der Erneuerung thätig? Nein, es
muss etwas anderes hinzukommen, um die
Kraft lebendig zu machen: etwas, wovon
ausser Ibsen kein Dichter mehr zu wissen
scheint — es sei denn, dass er die Frau
in der Einsamkeit ihrer Seele aufsuche,
dort wo »kein Mann geht und alles still
ist«, wie Peter Altenberg sagt; oder dass
er von so weit herkomme, aus dem nebel-
umhüllten Strand der grauen nordischen
Vorzeit, wie es mit Richard Wagner der
Fall war. Ibsen aber hat beides gethan.
Und so hat er den Wildvogel im Weibe
entdeckt, den Wildvogel mit der zitternd
zusammengekauerten Spannung niederge-
haltener Schwingen. So hat er den grossen
Schrei aus dem Urgrund des weiblichen
Wesens her gehört, der, seit Brünnhild
verrathen ward, durch die Zeiten hallt,
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