Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 3, S. 69

Konrad Ferdinand Meyer (Basedow, Hans von)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 3, S. 69

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BASEDOW: KONRAD FERDINAND MEYER.

eigentlich eine Verböserung ist, die er
älteren Gedichten angedeihen liess.

Prächtige Marmorbauten, feingeschnit-
tene Gemmen, intime Naturstimmungen,
kühn geschaute Bilder von Kraft und Wucht,
fein ciselierte Filigranarbeit — kurz
Plastik — so war das Wesen des Dichters.
So und doch wieder anders. Es war oft-
mals ein Dämon in ihm, der etwas auf-
wühlen wollte, der mächtige Felsblöcke
zwischen die feinbehauenen Marmorsteine
wälzen wollte, der aber schnell ermattet
davon abliess, und der, wo er sich nicht
wegtrollen konnte, es versuchte, aus den
plumpen Felsblöcken Steinbilder zu formen,
scheinbar naiv und doch in der bewussten
Absicht, die Marmorschöne zu imitieren.
Diesen Dämon hat Meyers Verleger Hässel
des öfteren verjagen müssen, indem er in
Meyers Manuscripten sprachliche Unge-
heuerlichkeiten corrigierte und verbesserte,
was dieser sich ruhig und gern gefallen
liess. »Spätling der Renaissance« hat man
Meyer sehr schön und charakteristisch
genannt; merkwürdig, dass ein solcher
gerade in der Schweiz geboren wurde,
einem Lande, das zwar reich an über-
wältigenden Naturschönheiten, aber arm
an Kunst ist. Merkwürdig und doch nicht
einzig: sind doch zwei andere Renaissance-
menschen, Arnold Böcklin und Jacob
Burckhardt, auch Schweizer. Ob da nicht
der Gegensatz zwischen der Naturschöne
und Kunstschöne das Seine dazu gethan
hat? Ob der Mangel an Kunst nicht
gerade das innere Kunstempfinden geweckt,
concentriert hat? Denn Meyers wie Böcklins
Schöpfungen sind nicht aus der äusseren,
sondern aus der inneren Anschauung
heraus entstanden, bei Meyer selbst da,
wo die vor ihm ausgebreiteten landschaft-
lichen Reize des Zürichsees Stoff waren;
da steht er in schroffem Gegensatz zu
Gottfried Keller, seinem grösseren Lands-
manne.

Man kann Konrad Ferdinand Meyer
den schweizerischen Fontane nennen.
Hochinteressant wäre es, diese beiden in
Parallele zu stellen, doch würde das hier
zu weit führen. Eine derartige ver-
gleichende Studie würde jedenfalls manche
Feinheit des künstlerischen Schaffens zu-
tage fördern, manch’ völkerpsychologi-
sches Problem würde sich in ihr auf-

thun. Beiden Dichtern gemeinsam ist das
feste Wurzeln im Heimatsboden und der
Sinn für das Historische. Dieser Sinn hat
aber bei ihnen eine sehr verschiedene
Basis — Meyer schwelgte in der Ver-
gangenheit, weil sie für ihn die grosse
Zeit war; Fontane ehrt wohl das Alte,
vertraut aber auf das Kommende. Meyer
wendet sich in die Vergangenheit, weil
ihn die Jetztzeit fremd anmuthet, Fontane,
weil er die Jetztzeit liebt und zeigen will:
Seht, so sind wir geworden. Deshalb
war Fontane auch der weit Frischere, zu
Packende, der, als er alt wurde, erst
recht jung war und empfand, während
Meyer, ein müder, kranker Mann, ver-
stummte. Das Zukunftsfrohe fehlte ihm
eben und das hatte unser grosser, alter
Fontane, den man deshalb liebt, während
man Meyer nur schätzt und ehrt, denn
er bleibt uns immerhin fremd — es ist
eine Distanz zwischen uns und ihm. Eine
feine Linie trennt unsere Welt von der
seinen. Und diese Grenzscheide hat der
alte Schweizer gewollt, er hat sie voll-
bewusst aufgerichtet, denn diese Grenz-
scheide war zugleich die Grenze seiner
Weltanschauung und seines Könnens.
Und noch mit einem anderen kann man
ihn vergleichen, mit seinem Landsmann
Arnold Böcklin, denn das Urphänomen —
um mit Goethe zu reden — ihrer Kunst,
ihrer Kunstanschauung ist das gleiche.
Meyer ist, wie Fontane, wie Böcklin
durchaus originell, er ist ein »Selbst«
wie die Menschen, die er mit Vorliebe
schildert. Er, der »Spätling der Renaissance«
ist das nicht nur als Dichter, sondern
auch als Mensch. Dieser Renaissance-
mensch und knorrige Schweizer gab ein
seltsames Gemisch ab, so lange sich kein
Zwiespalt aufthat, erfreulich, da aber, wo
es Differenzen gab, mehr denn uner-
freulich.

Konrad Ferdinand Meyer ist einer der
grössten Lyriker und Epiker. Seine No-
vellen sind Epen in Prosa, in einer Prosa,
die Poesie ist. So kraft-, so blut- und
lebensvoll er auch war, so dramatisch er
auch empfand, zur Dramatik vermochte
er sich dennoch nicht emporzuschwingen;
der epischen Breite konnte er nicht ent-
rathen. Sie war ihm Bedürfnis, nur in
ihr vermochte er sich auszuleben, nur in

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 3, S. 69, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-03_n0069.html)