Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 3, S. 70

Konrad Ferdinand Meyer (Basedow, Hans von)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 3, S. 70

Text

BASEDOW: KONRAD FERDINAND MEYER.

ihr das zu geben, was er geben wollte, und
er wollte stets Grosses und Vieles geben,
wie es seine Helden gewollt und gethan.
Und er wollte wohl auch nicht, wie es
das Drama verlangt, die einzelnen Figuren
charakteristisch reden lassen. Er bedurfte
einer formvollendeten, bis in die subtilste
Einzelheit hinein ciselierten Sprache, er
brauchte eben die Konrad Ferdinand
Meyer’sche Sprache, was darüber hinaus-
gieng, mochte er nicht, und er fühlte
wohl, dass er alle Figuren eines Dramas
seine Sprache nicht gleichmässig reden
lassen konnte. Deshalb hielt er sich vom
Drama fern.

Der grosse, dramatische Zug, die
elementare Kraft fehlt Meyer nicht.
Im Gegentheil, wir haben viefach Ge-
legenheit, sie zu bewundern. In seinen
Novellen finden sich Höhepunkte, wie sie
nur ein Vollblutdramatiker haben kann,
aber auf diesen Höhepunkten verstummt
er, es bieten sich Momente von grösster,
psychologischer Feinheit, aber sie reissen
jäh ab — denn stets redet Meyer, und,
wo er fühlt, dass er nicht reden darf,
schweigt er lieber gänzlich.

Trotz dieser auffälligen, augenfälligen,
selbstherrlichen und volbewussten Ein-
seitigkeit ist er ein Kind des Realismus.
Nicht wie Ebers etwa geht er vor, mo-
derne Menschen mit historischem Theater-
flitter bekleidend, nein, im Gegentheil;
er empfand aus dem Geiste der zu schil-
dernden Zeit heraus, er identificierte sich
mit seinen Geschöpfen, die stets einen Zug
von ihm tragen, fühlte mit ihnen, dachte
mit ihnen, jauchzte mit ihnen, kämpfte,
litt mit ihnen. Und dennoch stand er stets
über ihnen, dennoch waren es stets seine
Geschöpfe, die sprechen mussten, wie er
wollte. Dabei versteht er es ganz herrlich,
die Schilderung des »Milieu« nach dem
Empfindungs- und Erregungswerten seiner
Helden abzustimmen — wohlverstanden:
das »Milieu« nach den Figuren und nicht
umgekehrt — so eine geschlossene Ein-
heitlichkeit, oft ein Wunderwerk bietend.
Dennoch spürt man oft, dass dies Darüber-
stehen hinderlich ist, dass diese wunder-
volle Sprache erkältend wirkt. Elementare
Gewaltausbrüche, lohernde Leidenschaften,
herzzersägender Schmerz lassen sich eben
nicht in wohlgesetzten Worten ausdrücken,

da kann es nur Naturlaute geben, und
Naturlaute kennt Meyer nicht, will sie
nicht kennen. Dass er sich da eine Grenze
gezogen, spürt er selbst. In gewissen
Höhepunkten in »Jürg Jenatsch« z. B.,
wo ein Naturlaut, und nur ein solcher
nöthig ist, schweigt er lieber ganz. Er
wusste, so wie er sprechen will, kann er
da nicht sprechen — nun wohl, dann
lieber gar nicht sprechen, dann lieber
schweigen. Aber er vergisst dabei, dass
sich durch dies Schweigen eine Kluft in der
Charakteristik aufthut, die er mit all seinen
glänzenden technischen Hilfsmitteln nicht
überbrücken kann. Seltsam, dass der Mann,
der in seiner Lyrik Naturlaute gefunden,
diese in seiner Epik nicht kennen will,
denn es ist mehr noch ein Nichtwollen
als ein Nichtkönnen. Es ist eben alles mit
glühenden Farben al fresco hingemalt,
aber eben al fresco, mit der Absicht im
Grossen, machtvoll, prachtvoll zu wirken.
Intime Wirkung verschmäht er, sie passt
allerdings auch nicht zu den Menschen,
die er sich zu Helden gewählt. In seiner
Lyrik ist er intim, schafft er eben Gelegen-
heitsgedichte in Goethe’schem Sinne, »die
Gunst der Stunde, die wird ein Lied«.

Auch daran mag diese Zurückhaltung
und Kälte liegen, dass Meyer — ich
rede hier wie auch vorher speciell
von seinen Novellen — plastisch wirken
will. Plastik ist aber, wenn auch nicht
gerade Pose, so doch Starrheit. Man
kann eine Bewegung, ein Streben
hineinlegen, nicht aber eine Vielheit. Der
Mensch ist aber eine recht bunte Vielheit,
das vergisst Meyer, oder will es ver-
gessen, denn oft spürt man, dass er diese
Erkenntnis recht wohl besitzt. Und diese
Einseitigkeit der Bewegung, innerlich ge-
nommen, spürt man auch da, wo sie im
directen Gegensatz mit der Psychologie
steht. Im Erotischen z. B., ich habe da
»Angela Borgia« im Auge. Er gibt nicht
den ganzen Menschen, sondern nur eine
Phase desselben. In dieser Phase geht er
bis zur äussersten Grenze, unbekümmert
um die sich ergebenden Widersprüche.
Meyer will eben so und nicht anders wirken,
er will die Form in die erste Reihe rücken,
will in seiner Art Meisterwerke der
Novellistik bieten, will Renaissancemensch
sein.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 3, S. 70, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-03_n0070.html)