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Formen, in welchen dieselben offenbar
werden, zu unterscheiden. Jede Entwicklung
einer Form ist eine Wiederverkörperung
freigewordener Kräfte. Ein Eisklotz schmilzt
und wird zu Wasser, das Wasser ver-
dunstet und wird unsichtbar; der Wasser-
dampf in der Luft wird wieder zu Nebel,
der Nebel zieht sich in Wolken zusammen,
bildet Regen, fällt zur Erde, läuft in
Pfützen zusammen und gefriert wieder zu
Eis. Ähnlich verhält es sich auch mit
den höheren Principien, Kräften oder
Substanzen, die wir »immateriell« nennen,
weil sie für unsere äusserlichen materiellen
Sinne nicht sichtbar und greifbar sind.
Gerade so, wie das Wasser in einem
Eisklotz nicht von dem Eisklotz erschaffen
wurde, so wird auch das Leben in einer
lebendigen Form nicht von dieser Form
erschaffen, sondern die im ganzen Weltall
verbreitete, einheitliche Lebensenergie oder
Lebenskraft offenbart sich in einem dazu
geeigneten Organismus, den sie sich selbst
erbaut, als dessen Lebensthätigkeit und
macht ihn dadurch lebendig. So ist es
auch mit den höheren Principien der Fall.
Die Materie wird vom Reiche der materiellen
Elemente in der Natur aufgebaut; mit
anderen Worten, das Reich der Materie
verkörpert sich in einer sich entwickelnden
Form, die durch das Materielle in der
Natur ernährt wird; der Äther ernährt
das Ätherische, die Lebenskraft in der
Natur ernährt das Lebendige; die Kräfte,
welche Instincte und Leidenschaften dar-
stellen und als »Elementals« bezeichnet
werden, ziehen in das Gemüth des
Menschen und der Thiere ein und ernähren
und vermehren die Begierden und Leiden-
schaften derselben; der Intellect des
Menschen sammelt seine Gedanken aus
dem Reiche der Ideen und wird dadurch
ernährt; grosse und kleine Ideen werden
dadurch in ihm verkörpert oder »rein-
carniert«. Ebenso ernährt sich seine un-
sterbliche Seele durch die Erkenntnis
der Wahrheit, sein göttlicher Geist durch
den heiligen Geist der Weisheit in der
ganzen Gottesnatur.
Wir brauchen nicht blindlings an die
Wiederverkörperung zu glauben, noch uns
nach »Autoritäten« umzusehen, welche
dieselbe behaupteten; wir brauchen nur
die Augen aufzumachen und zu betrachten,
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was zu jeder Stunde um uns und in uns
selbst vorgeht, und wir haben dann alle
denkbaren Beweise vor uns. Nur müssen
wir uns von dem Wahne losmachen, dass
eine todte Form aus sich selbst lebendige
Kräfte erzeugen könne. Wir müssen uns
auf den Standpunkt des grossen Weisen
Sankaracharya stellen, welcher schon
vor mehr als zweitausend Jahren lehrte,
dass die erste Bedingung zur Erkenntnis
der Wahrheit der Besitz der Fähigkeit
sei, das Dauernde von dem Nichtdauernden,
d. h., die unsichtbare Kraft oder das
Princip von der vergänglichen Form, in
der es sich offenbart oder verkörpert, zu
unterscheiden. Wir müssen uns auf den
entgegengesetzten Standpunkt der An-
schauung jener modernen Nichtwisserei
stellen, welche sich einbildet, dass der
Körper des Menschen Leben, Intelligenz
und Geist erschaffe, und einsehen lernen,
dass es der Geist ist, welcher den Körper
des Menschen schafft, in welchem Leben,
Bewusstsein, Intelligenz und Erkenntnis
offenbar werden.
Um Missverständnisse zu vermeiden,
müssen wir bemerken, dass, wenn wir
von »Stoff«, »Kraft« und »Geist« oder
»Bewusstsein« sprechen, wir darunter
nicht die von einander getrennten und für
sich selbst bestehenden Dinge bezeichnen
wollen, sondern diese drei Namen sind
nur Bezeichnungen für drei Vorstellungs-
formen oder Anschauungen, welche wir
uns von der ewigen Einheit machen, für
welche es keinen Namen gibt und die
das Wesen von allen Dingen ist. Man
könnte diese alles umfassende und all-
durchdringende Einheit vielleicht als »Gott«
bezeichnen; aber auch diese Bezeichnung
ist unvollkommen; denn abgesehen davon,
dass es für »Gott« keinen menschlichen
Begriff gibt, weil der beschränkte Intellect
das Grenzenlose nicht fassen kann, und
ein Gott, den ein Mensch begreifen könnte,
niedriger stünde als ein sterblicher Mensch,
ist auch eine Einheit von Stoff, Kraft und
latentem Bewusstsein noch kein Gott,
ebensowenig als der Raum an sich eine
Gottheit ist. Nur dasjenige Wesen kann
einen Gott darstellen, in welchem das
Gottesbewusstsein lebendig geworden ist.
Die moderne, materielle Wissenschaft
ist zu der Einsicht einer Wahrheit ge-
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