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»Dies ist die Welt des Ewigen. Dies
ist der höchste Weg. Dies ist der edelste
Schatz und die höchste Lust. Alle Ge-
schöpfe leben nur von der Wesenheit
dieser Seligkeit.«
Dies ist der Zustand der Seele, wenn
sie nach dem Tode des Körpers alles
Materielle und Sinnliche abgestreift, in der
Mittelregion (Kama loca) ihre thierischen
Instincte und Leidenschaften zurückgelassen
und auch in der Götterwelt (Devachan)
ihre geistigen Kräfte erschöpft hat, ver-
mittels welcher sie sich durch Wille und
Vorstellungskraft die sie umgebende ideale
Welt erschuf. Und hier ist zu bemerken,
dass die geistige, wenn auch dem persön-
lichen Menschen unbewusste Kraft des
Willens und der Vorstellung oder Phan-
tasie eine viel grössere ist, als die meisten
Menschen auch nur ahnen, denn diese
magische Kraft zaubert aus den Ein-
drücken, welche das Gemüth empfangen
hat, auch ohne dass wir uns intellectuell
dabei betheiligen, Bilder hervor, die an
Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig
lassen, so dass uns die Gegenstände in
der subjectiven Traumwelt ebenso wirklich
erscheinen als die materiellen Körper, die
uns in der objectiven Sinneswelt umgaben.
Der Unterschied ist nur derjenige, dass wir
in dieser sinnlichen Welt Eindrücke von
Dingen, die uns fremd und auch unan-
genehm sind, empfangen, während in der
subjectiven Welt die Objecte aus unserem
eigenen Wesen entspringen und demselben
angemessen sind.
Auch während des tiefen Schlafes
zieht sich die göttliche Seele in ihr
innerstes Heiligthum, zur Gottheit zurück
und es bleibt nur der Körper mit seinem
vegetativen Leben auf der sichtbaren
Daseinsebene. Selbst die Seele des grössten
Verbrechers, wenn noch ein solcher gött-
licher Geistesfunke in ihm vorhanden ist,
geht dabei in die Ewigkeit ein. Da ist
denn auch der Mörder kein Mörder, der
Dieb kein Dieb und der Heilige kein
Heiliger mehr. Wenn er aber erwacht,
so kehrt dabei auch wieder der Geist und
das relative Bewusstsein zurück; aus dem
vernunftlosen Organismus wird wieder ein
denkender Mensch, der wieder seine vor-
herigen Eigenschaften aufnimmt und nach
dem Erwachen ist er wieder, was er ge-
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wesen war, ein Mörder, ein Dieb, ein
Heiliger. In seinen menschlich-thierischen
Eigenschaften besteht sein irdisches Wesen,
das er sich durch sein Empfinden und
Denken, Wollen und Handeln schafft.
Deshalb besteht auch die grösste Strafe,
welche der Mensch für seine Sünden er-
fahren muss, darin, dass er selbst zu dem-
jenigen Wesen wird, das er sich durch
seine Handlungen schafft.
Wir dürfen uns bei diesem Eingehen
der Seele in die Gottheit nicht eine Bei-
behaltung der Individualität, nach mensch-
lichen Begriffen, denken. Die Seele ist
darin eins mit dem Allgeiste, ähnlich wie
ein Lichtstrahl eins mit dem Lichte der
Sonne ist. Die Wiederverkörperungen und
die Erfahrungen des individuellen Daseins
haben aber den Zweck, in der Seele das
Bewusstsein der Individualität zu ent-
wickeln, wodurch sie dann nicht mehr
eine nichtselbstbewusste Kraft im Allgeiste,
sondern vielmehr eine mit dem Allgeiste
harmonisch übereinstimmende Form dar-
stellt. Wenn in der Seele das Allbewusst-
sein und die Allerkenntnis aufgeht, dann
ist sie eins mit der Gottheit, allgegen-
wärtig und selbstbewusst. Dieser Zustand
wird von den Buddhisten als Nirwana
bezeichnet. Er ist nicht ein Aufgehen im
Nichts, wie manche »Orientalisten« meinen,
sondern ein Aufgehen in Gott, nicht ein
Verschwinden im Nichts, sondern ein Ein-
gehen in einen höheren Zustand des
Daseins, ein Eintreten aus einem be-
schränkten Zustand in das Allsein und
die Allwissenheit; er ist vergleichbar mit
dem Aufgehen eines Funkens in der
Flamme, wodurch der Funke allerdings
aufhört als Funke zu existieren, dafür
aber selber zum Lichte wird.
Dasjenige, was den Menschengeist
verführt, eine persönliche Form anzu-
nehmen, ist der Wille zum persönlichen
Dasein, der Egoismus. Aus der Begierde
zum eigenen Dasein entspringt das indivi-
duelle Bewusstsein, welches dem Menschen
vorspiegelt, dass er nicht nur der Form,
sondern auch in seinem Wesen ein von
anderen Geschöpfen gründlich verschiedenes
Ding sei. Ist er aber durch Erfahrung
zur Erkenntnis seiner wahren Gottesnatur
gekommen, hat er völlig den Selbstwahn
überwunden und ist in ihm das Licht der
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