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Antlitz plötzlich, erstarrte in einsamer
Verzweiflung, die Augen fernschauend
und tief vom tiefsten Schmerz.
»Sieh,« sagte sie — und Raymon sah,
sah etwas Entsetzliches, Fressendes, »sieh,
was ich trage.«
Raymon fühlte sein Haupt leer, leer
wie die Tiefe unter seinen Füssen; Kummer,
Entsetzen, unendliche Bitterkeit und ein
qualvolles Gefühl des Abscheus machte
ihn schwindeln, aber er hörte doch, wie
sie fortfuhr:
»Ich sah es vor Jahren kommen, ich
habe den Tod in den Armen gewiegt,
ich habe ihn von mir stossen wollen, ihn
fliehen, ich habe zu Gott um ein Wunder
gebetet, ich suchte es dort draussen zu
vergessen, ich spielte, ich lachte. Immer
tiefer frass es sich ein; stets fühlte, stets
sah ich es. Ich liebte Dich, liebe Dich
noch, ich glaubte, ich wusste nicht, ich
fühlte es wie ein Wunder, eben noch,
Gott ist die Liebe, sagen sie, und ich
dachte — glaubst Du an Wunder jetzt,
Raymon?
Raymon neigte sein Haupt, er fühlte
sich von Thränen bedrückt und von Mit-
leid und etwas Furchtbarem, Kaltem zu-
gleich.
»Unser Gott ist der Gott der Schmerzen,
Carneola.«
Sie sprach mit dem Ächzen eines ver-
zweifelten, dunkelscheuen Kindes.
»Ich habe es gewusst, immerdar ge-
wusst, aber es erschreckte mich, und da
floh ich. Ich habe gespielt wie die an-
deren, ich habe ihre Worte nachgesprochen,
ich habe sie im Schlummer geglaubt, alles
war ein Traum. Dieses ist die Wirklich-
keit. Trägst Du nicht eine solche Wunde,
tragen sie sie nicht alle, spielen sie nicht
darum so? Hörst Du das Weinen an der
Thüre?«
Raymon wagte nicht aufzusehen, er
weinte über alle Dinge, dünkte es ihm,
wenn er über sie weinte, sie war zu gross
für seinen Blick. Da kam sie zu ihm und
ächzte wie eine Hungernde.
»Kannst Du dennoch bei mir ver-
weilen, kannst Du mich lieben? Ich habe
geschmachtet nach Deiner Liebe, noch
sterbe ich nicht. Ich fürchte mich vor der
Einsamkeit, und ich war so glücklich eben
erst. Ich kann nicht leben, ohne Liebe!«
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Aber Raymon sah das Gefühl, das
ihn eben noch beseelt, so klein, so nieder-
getreten unter dem Fusse des Unerbitt-
lichen, dass er es nicht emporheben wollte,
noch konnte.
Wenn er als Kind verwundete Vögel
gefunden, hatte er so gefühlt, nur schwächer,
er hatte sie nicht ansehen wollen, sich
beeilt, ihnen den Gnadenstoss zu geben.
»Ich kann mit dir weinen,« sagte er
sachte.
Sein Tonfall brachte sie wieder zu
sich, er war wie kalter Stahl auf schmer-
zender Stirne. Sie verhüllte ihren Busen
wieder und gieng zur Thüre, indem sie
ihm winkte, zu folgen.
»Fahr wohl,« sagte sie mit etwas von
ihrem gewohnten schönen Stolz in der
Geste, mit der sie die Hand zum Kusse
reichte, und ihre Augen zogen seine Blicke
in schwarze Weiten, grösser als er sie
je geahnt.
Dort draussen flatterte ihnen Musik
entgegen, sie lächelten einander traurig
zu; und so, mit diesem Lächeln um das
Beben des Mundes, die schwarzen Schmet-
terlinge des Blickes in einem Meer von
Gram ertrinkend, tauchte Carneolas Bild
vor Raymons Augen auf, jedesmal, wenn
ihr Name im Ohr erklang, jedesmal,
wenn er an ein Weib dachte.
Und er sah sie nie mehr, fragte niemals
nach ihrem Schicksal; noch in derselben
Nacht liess er Majorcas matt funkelnde
Lichter hinter sich und zog hinaus in den
stahlblauen Raum von Meer und Luft.
Er begriff alles, er hatte den Trug
der Freude und der Schönheit durchschaut,
das Leben hatte er küssen wollen, und
wie ein Schatten war es seiner Hand ent-
glitten, aber gross und unendlich blieb der
Schmerz.
Er war die Wahrheit, die Stimme der
Gottheit war er, er allein log nicht —
und o! war es nicht ein Schreckgespenst
der Sagen bloss, das ihn gemieden machte,
trug er nicht die Schönheit des Unendlichen
in seinem Antlitz?
Der Schmerz, das war der Tropfen,
mit dem die Brust der Natur besprengt
ward, um die klagenden Kinder zu ge-
wöhnen, ihre Lippen davon zu lösen,
durstig die Nahrung der Seele zu empfangen,
sich stark zu wachsen für das Leben der
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