Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 5, S. 112

Carneola Adam Mickiewicz (Hallström, PerMenkes, Hermann)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 5, S. 112

Text

MENKES: MICKIEWICZ.

Ewigkeit. Vergeblich war es hienieden
nach Liebe zu tasten, vergeblich des
Menschenherzen Suchen, den Ruf zu einem
Versprechen der Gottheit zu stempeln.
Wenn ein Vögelchen seinen flaumigen
Kopf über den Nestrand steckt und sieht,
dass unter dem blauen Gewölbe, das
alles war, das es bisher gekannt, eine
Erde liegt, die im Lichte brennt, da weiss
es nicht, dass in diesem Augenblicke der
Habicht die Schale durchbricht, der an
der gefleckten Brust der Mutter stark und
wild wachsen und einst das erschreckte
Piepsen in seiner Kehle verstummen
machen wird.

Wenn der Jüngling aus den Träumen
und der reinen Luft seiner Knabenwelt
hinab auf das Leben sieht, das lockt, da
ist das Unglück schon im Rollen, das
seine Stirne treffen wird, wie ein ge-
schleuderter Stein. Denn unendlich zurück
geht die Kette der Ereignisse, von der
Grenze der Zeit schlingen sich die schwarzen

Fäden der Sorge hinein in all die bunten,
die von des Schicksals Händen gewebt
werden, und von Anbeginn ist est bestimmt,
wann und wie sie sich begegnen sollen.

Aber ausserhalb ist Gott, ist die
Wahrheit, wo alles Begehren, alle Hoffnung
erloschen ist, wie Funken im Meer, und
die Seele nur sich selbst kennt, denn
ihre Grösse schliesst das All in sich.

So zog Raymon zu den Klostermauern
und den Büchern und den Gesprächen
heiliger Männer, um zu erforschen, ob ein
anderer dies verstanden, und er fand Blicke,
die zuweilen tief wurden in der Ruhe, die
er suchte, und Worte, die dem zerstreuten
Echo seiner Gedanken glichen; aber er
mied die Kirchen, die zum Himmel Ge-
wölbe erhoben, gleichsam wie emporge-
streckte Arme, und Lobgesänge, die von
Wünschen heiss waren.

Und Raymon sprach wenig, aber seine
Hand war stets zur That bereit, er betete
nie, aber alle wussten, dass er Gott nahe war.


ADAM MICKIEWICZ.*
Von HERMANN MENKES (Lemberg).

In den Frühlings- und Sommermonaten
dieses Jahres feierten die Polen den hundert-
sten Geburtstag des Adam Mickiewicz. Nicht
nur in den Städten, sondern auch in den
Dörfern und in einsamen Ansiedelungen
zündeten sie Lichter an und verrichteten
Gebete; an den Zinnen und Giebeln der
Häuser flatterten die Fahnen, in den Kirchen
und auf den freien Plätzen priesen sie laut
und mit tiefempfundenen Thränen den
Ruhm des Todten, dessen Wirken nicht
aufgehört. Mit Moses verglichen sie ihn,
der sein Volk durch die Wüste unglücks-
voller Jahre geführt und in ihr sterben
musste.

Allen waren diese Tage seltene Hoch-
momente ihres Lebens, wo die Seelen sich
über den Werktag erheben und Fest-
gewänder anlegen. Alle wollten sie einen
Theil an ihm haben: die Bedrängten und
die Mächtigen, die Vorwärtsstürmer und

die zähen Wahrer alter Güter, die Frommen
und die Abgefallenen, die Starken und die-
jenigen, die, wegmüde, nach einer Stütze
auslugen. In aller Herzen war er wieder-
erstanden; aus prachtvollen und ver-
staubten Bücherschränken holten sie diese
theuren Bücher hervor, diese Bücher, die
eine Generation der anderen gereicht,
Bücher, in denen wie im »Pan Tadeusz«
von ruhmvollem Leben erzählt wird und
solche, die wie mit Blut und Thränen
geschrieben zu sein scheinen: die »Ode
an die Jugend« und die »Dziady«, den
»Konrad Wallenrod« und die »Alpuhara«.
Zitternde Hände erinnerungsalter Greise
und der heisse Athem der Jünglinge glitten
über diese Seiten und alle die, die so arm
und so sehr in Elend sind, dass sie nicht
einmal lesen können, die flüsterten den
grossen Namen, und es war vielleicht die
tiefste und heiligste Feier; sie wussten:

* Zu seinem hundertsten Geburtstage: 24. December 1898.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 5, S. 112, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-05_n0112.html)