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er hat ihnen allen reichlich gegeben, jedem
ein Stück seines Lebens und Tage seiner
grossen Sorgen.
Und dann erinnerten sie sich an die
Legende, die sich um Adam Mickiewicz
gebildet, wie sie das Leben von Volks-
helden stets umrankt, an die Legende,
die erzählt, wie Adam von seiner Mutter
der heiligen Jungfrau geweiht wurde, als
er als Kind einmal durchs Fenster gefallen
und wie leblos liegen blieb. Wie dann in
Erfüllung gieng, was die fromme Einfalt
sich gewünscht: das Leben des Adam
Mickiewicz ward nichts anderes als ein
Weg zu Gott.
Adam Mickiewicz ist einer der National-
helden der polnischen Geschichte; seine
Feder war ein Schwert, sein Dichten war
ein stetes Sichopfern. Er war der grösste
Sänger des Hasses mit einem Herzen,
das für die Liebe geschaffen war. Das
war seine Tragik.
Dessen gedachten sie in diesen Momenten
und sie ehrten die grosse Energie, die
das Wesen des Mickiewicz ausmacht.
Die Polen besitzen noch zwei andere
Dichter von fast mystischer Gewalt:
Slowacki und Krasinski. Aber sie sind
unpopulär. Es waren Künstler, unendlich
differenzierter und eigentlich farbenreicher
als Mickiewicz; sie hatten die grössere
Scala und all die unendlich gebrochenen
Farben der Decadence. Aber sie waren
nicht in dem Grade national wie Mickiewicz.
Sie wurzelten nicht so sehr im Heimats-
boden; sie waren ewige Emigranten, Ver-
ächter Europas: Höhenmenschen. Ihre
rückschauende Sehnsucht malten sie in
grossen Decorationen, ohne Intimitäten
und mit einer starken Dosis Hass für ihre
Zeit. Sie orgelten in den Tempeln, in
welchen »keine Götter wohnen«. Und als
richtige Überwinder zerbrachen sie die
gegebenen artistischen Formen. Sie sangen
die Psalmen der Könige. Sie waren keine
Diener und keine Priester. Und unfruchtbar
und von krankhafter Schönheit, wie alle
decadente Kunst es ist, hatten sie ihrem
Volke kein Erbe hinterlassen. Sie sind nicht
»Gemeingut«, nicht commun geworden,
sondern sie stehen mitten in der nationalen
Literatur wie die einsamen Bäume auf
der Heide, die nur selten von einem sinnigen
Wanderer gegrüsst werden.
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Mickiewicz aber hatte Saiten in seiner
Natur, zu denen wenige nur den Schlüssel
finden können, und dann wieder als Pro-
pagandist das Commune, die grosse Tasche,
die vollgefüllt war mit Münzen, die in der
Menge cursieren konnten. Und doch ist
sein Wesen so vielfach, reich und gross,
dass er den vielen ein Götze und den
wenigen ein Gott sein kann
Als Mickiewicz auftrat, fand er ein
kleines Bündel von Gesängen aus der
Vergangenheit als Erbe vor. Ein vater-
ländischer Poet hatte sie um den Tod
seines Kindes gesungen: sie wurden
»Thränen« von Jan Kochanowski benannt,
und sie wogen schwer in der Wage der
Literatur, denn sie waren von echtestem
Golde. Was es darum in der heimischen
Literatur noch gab, das waren papierene
Decorationen, mit akademischen Versen
wattierte Schreibstubengefühle, eingetrock-
nete Mythologien. Man hatte ausgestopfte
Götter besungen, verstaubte Popanze mit
lackierten Empfindungen ohne jene holde,
schöne Barbarei, die noch durch Goethes
Verse zitterte. Das war eine Herrschaft
von wassersüchtigen Scheindichtern, von
versteinerten Traditionen — und nirgends
rann das warme rothe Blut des Herzens.
Mickiewicz hatte mit achtzehn Sonetten
eine Revolution gemacht; er hatte die
Fenster aufgerissen, dass der Staub hinaus-
flog und die Motten und die warme Sonne
des Lebens hereinschien. Er musste
gleichsam die Natur noch einmal ent-
decken. Er führte seine Nation hinaus
ins Feld und auf die Heide, wo er so
sehr Bescheid wusste; er liess sie horchen
auf das Rauschen uralter Forste, auf das
Zittern einsamer Gesträuche, denn es war
auf einmal ein junger Frühling gekommen,
seit Mickiewicz seine Poetenaugen auf-
geschlagen. Er führte die aufhorchende
Jugend in die Steppen der Krim und zeigte
ihr jagende Wolken und wechselnden
Sonnenschein, hohe, zitternde Gräser, in
denen Ross und Reiter versinken wie
in ein grünes Meer; die Pracht des
Tschatürdag und der Aluschta liess er sie
anstaunen, die Pracht der Moscheen, von
deren Kuppeln die Rufe der Muezzine
durch die weiche, zitternde Luft bebt.
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