Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 5, S. 114

Adam Mickiewicz (Menkes, Hermann)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 5, S. 114

Text

MENKES: MICKIEWICZ,

Das waren Verse von einer unsagbaren,
in sich versunkenen Schönheit; eine ewige
Jugend ist in ihnen. Und auf diesen
wenigen Blättern erstand den Polen eine
neue Kunst und eine Sprache von jung-
fräulicher Keuschheit und unbewusster
Schönheit.

Mickiewicz trat als Romantiker auf,
wie alle Revolutionäre dieses Jahrhunderts,
aber es war eine Romantik im Sonnen-
schein, wie sein Leben es gewesen, genau
so wie jene des Slowacki, seines Mit-
kämpfers, der nur die Nächte kennt mit
Mondschein und kleinen Zärtlichkeiten.

Zwischen diesen »Sonetten«, den
Balladen und dem »Pan Tadeusz« liegen
diese grossen starren Episoden in Mickie-
wicz’ Poesie, wo seine Ursprünglichkeit
sich zersröckelt, wo er ganz von seinem
Kassandraberuf erfüllt ist, wo er auf das
Eismeer seines gewaltigen Hasses hinaus-
steuern muss und sein Schmerz zu einer
ungeheueren Grösse anschwillt. Aber mit
einer beispiellosen Energie dichtet er diesen
»Pan Tadeusz«, und es ist, als ob sich
der einzige Frühling, den er in seinem
Leben erleben durfte, zu ihm hin-
gesetzt; seine Kunst wird sorglos, obgleich
die Stirne des Poeten bereits gefurcht
ist es tauchen die grünen Wiesen seiner
Jugend auf, das Land seiner Heimat lacht
wie die Gesundheit, die Natur erschliesst
ihm alle ihre Intimitäten, schöne Jüng-
linge wandeln liebes- und thatentrunken,
würdige Greise grüssen mit der letzten
Geste ihres Heldenthums, und Mädchen
mit der stillen, nie wiederkehrenden An-
muth griechischer Frauen lachen in die
Zukunft hinein. Jede Scholle wird schier
mit mütterlicher Liebe geliebt und jeder
kleine Zug des Menschlichen; der Boden
der Dichtung wird erwärmt von einem
lieben Humor, wie Felder, die im Sonnen-
schein geruht.

Die Polen erhalten ein Nationalepos
von einer homerischen Ausgeglichenheit:
in diesem Jahrhundert hat nur noch Goethe
so gedichtet.

Was Mickiewicz ausserdem blieb, war
der Kampf, zeitweilige Verfinsterungen,
wo seine Seele sich verschliesst. Bis auf
seine Begegnung mit Towianski bleibt er

Despot, der keine Nebengötter duldet: mit
Slowacki führte er einen jener stillen,
zähen Kriege, bei denen der Gegner ganz
verblutet, mit Slowacki, der, hätte er
Nietzsche gekannt, mit ihm ausgerufen
hätte: »Wenn es Götter gäbe, wie hielte
ich’s aus, kein Gott zu sein !«

Nach der ersten literarischen Revolu-
tion überschlägt Mickiewicz in eine andere.
Er beginnt die grossen Felder des Lebens
zu durchwühlen, er tritt über die Schwelle
seines ursprünglichen Talentes, er wird
Dictator, er stellt sich an die Spitze seines
Volkes. »Seine Scene wird die Welt und
sein Chorus eine ganze Nation.«

Er verkündet dann, dass er nie seine
Feder zu kleinlichem Zeug missbrauchen
werde, denn die Dichter, die müssen den
Brüdern vorangehen, müssen den Völkern
den Weg weisen. Die Begeisterung muss
That werden. »Ihr werdet mich,« ruft
er aus, ȟberall dort sehen, wo ich euch
führen werde, indem ich meine eigene
Brust im Kampfe hinstelle. In Gottes Werk
ist nur ein Wetterstrahl, nur ein Her-
niederfahren — zwischen Blitz und Strahl
gibt es keinen Abschnitt.« Und das blieb
kein blosses Programm — das war sein
Lebensweg. In seinem Leben gibt es eine
Scene, die ein Hauch der Geschichte um-
weht: da war er so stark, als ob er ein
directer Abkömmling aus den Geschlechtern
der Renaissance wäre. Das war in Italien,
zu jener Zeit, als alle Himmel sich blutig
rötheten: 1848. Er will eine polnische
Legion bilden, um an der Seite Karl
Alberts in Sardinien zu kämpfen. Wer
sonst als der Papst selbst sollte die Fahne
einweihen? Er verweigert dies. »Jesus
hätte wohl anders gehandelt!« ruft ihm
Mickiewicz ruhig zu. »Vergesse Dich nicht,
Adam Mickiewicz,« ermahnt ihn der Papst.
Er aber bleibt standhaft. Das wahre
Christenthum sei nur noch bei den Blousen-
männern anzutreffen, meint er. Und der
Papst weiht die Fahne ein.

Diese monumentalen Züge wieder-
holen sich im Leben des Mickiewicz. Er
ist wie aus Erz gegossen.

Er, dessen »Dziady« wie ein gewal-
tiger Monolog seiner eigenen Seele klingt,
durfte von sich sagen, dass sein Name
Million sei, denn er schliesse in sich Liebe
und Pein von Millionen und er durfte den

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 5, S. 114, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-05_n0114.html)