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Und Raymon wagte es nicht, ihre
Hand an sich zu reissen, obgleich er in
schmerzvermischtem Jubel fühlte, dass sie
sein war, dass sie an ihn glaubte, wenn
auch nicht an die Liebe oder dass gerade
diese sie tiefer leiden liess. Er konnte
nicht darüber trauern, aber er erforschte
ihre Gedanken, erforschte sie ungeduldig,
doch des Sieges gewiss, und jeden Morgen
entschlummerte er erst, wenn das Sonnen-
licht über seinem Kopfkissen brannte, ent-
schlummerte glücklich mit dem grossen
ereignisreichen Tage vor sich.
Eines Nachts war Fest im Schlosse,
und man tanzte den Fackeltanz. Die Musik
stand im Dunkel, und es war, als hätten
die Töne Körper bekommen, als flatterten
sie hinein in den Schimmer geschwungener
Flammen, der Violinen brechende Freude
und die weiten Flügelschläge der Hornrufe
und die aufreizende Wehmuth der Flöten
und die barsche Mahnung der Trommel,
es war, als seien sie alle mit in die sich
verschlingenden Ketten der Tanzenden ge-
eilt, als riefen sie: »Flieht, flieht, seht,
jeden Augenblick kann der Wind die
Flammen erdrosseln, diese Welt ist die Welt
der Zeit und des Wechsels, des Schmerzes
und der Sehnsucht, aber wir erheben den
Vorhang zu einer anderen, zu der der
Liebe, flieht mit uns, flieht!« Eben erst
war so viel Licht gewesen, als hundert
Wachskerzen auf ihren Spitzen tragen
konnten, nun lag bloss ein zuckender
Schein von Roth über rothen Wangen,
wachsende Schatten über geweiteten Augen.
Raymons und Carneolas Hände schlossen
sich bei jeder Begegnung fest zusammen
und lösten sich beinahe zagend, und ihre
Herzen waren glücklicher denn je, denn
sie fühlten, dass dieses Spiel Weisheit sprach,
alle hindernden Gedanken verjagte und sie
zusammenschloss wie erschreckte Kinder,
um dann mit wachen, lächelnden Augen
dem Lichte zu begegnen. Bevor die Musik
noch zu Ruhe verdämmert war, und während
man begann, die Lichter hereinzutragen,
flüsterte Carneola als Antwort auf Raymons
Frage: »Ja, ich bin Dein! Keine Trennung!
Lass uns von hier fliehen!« — In der
klarer werdenden Beleuchtung sah er ihren
Blick in Glück erstrahlen, ihre Lippen in
Erwartung beben, es war, als würde sie
von Jubel emporgehoben, indess die Ver-
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zweiflung noch schwer an ihrem Fusse
hieng.
Er verlies sie und irrte in Gängen und
Gemächern umher, das Blut im Takte zu
der wieder erklingenden Musik tanzend,
flammende Lichter in sich — da vernahm
sein geschärftes Gehör ihren Schritt auf
der Treppe, und er holte sie ein, als sie
ihre Kammer erreicht hatte. Ein Gebet-
schemel war da mit einem Heiligenbild
und einem Lämpchen über den rothen
Falten des Gewandes, sonst kein Licht,
als die Kälte des Mondes an den farbigen
Scheiben des Fensters. Er legte seine Stirn
auf Carneolas Knie und lieh seinen jubelnden
Gedanken Worte: — Das Wunder, das
Wunder! — Er drückte ihre Hände an
seine Augen und streckte seine Arme empor,
so dass sie ihre zarte Gestalt umfiengen. —
»Nun ist all Dein Zögern verdunkelt, aus-
geschlossen.«
Carneola neigte ihren Mund dicht an
sein Haar. — »Ja, und wenn uns auch der
Tod nahe wäre Bist Du Deines
Wunders gewiss?«
Raymon erhob seinen Blick und er-
schauerte vor ihrem fragenden Ton, aber ihre
Liebe strömte auf ihn hinab, mit be-
rauschender Macht.
»Ja,« sagte er fest, »die Liebe ist das
All, alles andere ist Wahn. Die Liebe
ist das Glück. Das andere ist aussen, es
kommt niemals herein.«
Carneola drückte einen Kuss auf seine
Stirne, dessen Glut wie Fieber brannte,
dann machte sie sich frei, erhob sich
wankend und gieng einige Schritte auf die
Lampe zu. Ihr Denken war bis zum Wahn-
sinn angespannt, sie sang zu der Musik,
die noch in der Entfernung tanzte und
lockte, sie murmelte halb unbegreifliche,
abgebrochene Worte, und ihre Hände
erhoben sich zur Brust, zitternd und weiss,
und lösten die Spange mit dem rothen
Stein — wie ein Blutstropfen glänzte er
im Falle.
»Ich glaube an das Wunder, glaube
an das Wunder« — ihre Stimme war
zart wie der Klang eines dünnen Glases,
sie schlug das Kleid von ihrem schönen,
geneigten Hals zurück, schlug es zurück
vom Busen und blickte hinab, als er-
wartete sie etwas Unnennbares, unsäglich
Befreiendes zu sehen, dann erstarrte ihr
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