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bange Glück der Landschaft in ein Bild
sammeln kann, es gegen den Goldgrund
des Himmels meisseln, unter den achtlos
fallenden Falten des Gewandes.
Aber Carneola stand so, gegen die
Balustrade einer Treppe gelehnt, wo
Raymon sass, ein Stück von ihrem Fusse
entfernt, sah er die Wange mit ihrem
bernsteinfarbenen Schatten und den
schönen Fall des Kopftuches scharf gegen
der Abendröthe Rand von Orange stehen,
der in Eisgrün hinstarrt, und er konnte
nicht begreifen, dass er je etwas anderes
hatte sehen wollen als dieses dunkle Tuch,
wo die Goldstickerei matt leuchtete wie
die Ränder eines Sammtschmetterlings.
Schwarze Schmetterlinge, nun ver-
stand er den Ausdruck ihres Blickes. —
Sehnsucht? — Er war zu tief für Sehn-
sucht. — Kummer? — Nie hatte sie
geklagt. Ob es nicht bloss das Gesicht
der Einsamkeit war und das Bewusstsein,
dass unter dieser Schar schwachbeschwingter
Wesen niemand lebte, der gleichen Flug mit
ihrer Seele halten konnte über das Purpur-
meer des Leidens. Aber Raymon konnte
das, vor einer Weile noch hatte er mit
den Spielenden getändelt; jung und eben
den Büchern entschlüpft, hatte es ihm
Freude gemacht, zu tanzen und Bänder
um sich flattern zu fühlen; aber er war
aus anderem Stoffe, und nun drückte er
seine geballte Hand gegen die warme Erde
und gelobte sich, mit diesem Weibe den
weitesten Horizont des Glückes zu schauen.
Sie war jung, doch seit mehreren
Jahren war ihr Gatte todt; man konnte
es nicht fassen, warum sie noch das
Witwentuch trug, denn sie konnte ihn
nicht so tief geliebt haben. Man wusste
auch nicht die Verschlossenheit ihrer
Augen zu deuten, denn wo das Lachen
am muntersten, wo alles am lebendigsten
war, da zog sie mit hin, da winkte ihre
Hand und klang ihre Stimme, aber mit
einem spröde sinkenden Schlusston, als
lauschte ihr inneres Ohr seinem Echo.
»Sie sucht ihr Gewissen mit Seidenbändern
zu ersticken,« sagten einige — aber was
sollte wohl Kampf in ihr Gewissen gebracht
haben? Im Beichtstuhle folgte der Segen
des Priesters so rasch auf das Rauschen
ihrer Gewänder, wenn sie das Knie beugte,
wie der Myrthenzweig sich nach dem
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Windesstoss emporrichtet, und nie hatte
jemand eine Zornesröthe auf ihrer Wange
gesehen oder das Zittern der Missgunst
um ihre Lippen.
Aber Raymon glaubte die Lösung des
Räthsels gefunden zu haben, die Liebe
war es, nach der sie lauschte, die grosse
Liebe, zweier Wesen aufsteigender Flug
durch immer hellere, leichtere Luft —
unmöglich zu sagen, wessen Schwingen
es waren, die trugen — zweier rother
Lippenpaare Trank, Seite an Seite, aus
der tiefen Schale der Freude; und er bot
ihr seinen Glauben und seine Kraft, es
war nicht unerreichbar ferne, das, was
sie suchte — dicht neben ihr war es, mit
der Wange an ihrem schwarzen Tuche.
»Die Liebe ist das Wunder,« sagte
er, »glaube nur, und da ist sie, in un-
erklärlicher Grösse, über Deinem Scheitel
gebeugt, glaube nur, und Dein Fuss wird
noch leichter schweben als jetzt, die Flügel
sind schon da, in Deinem kleinen, spitzigen
Schuh zusammengefaltet, glaube nur, und
all das, was Du bei einem Manne finden
willst, das blüht in mir, schon höre ich
Palmenrauschen über uns.«
Sie erhob ihre gefalteten Hände ein
wenig, so dass die Finger die Brustspange
streiften, und schüttelte sachte das Haupt.
— »Aber der Tod!«
»Und ist er gewiss? Für uns, so wie
wir jetzt sind? Nein, er ist nicht da. Wir
wissen nichts von ihm. Wenn wir lieben,
kann er nicht da sein, denn da fühlen
wir, dass Tod und Schmerz tief unter
unseren Füssen liegen, so weit weg, wie
ein zersplitterter Traum, im Ringe der
Zeit, in der Welt, die nicht die der Wirk-
lichkeit ist.«
Da leuchtete es auf in Carneolas Augen
und der rothe Stein der Spange warf
glitzernde Lichter über ihre Hand, es war,
als würde ihr Inneres von der Klarheit
des Mysteriums erhellt, so wie ein Blitz
zitternd die Dunkelheit füllt; aber bald
war es verschwunden, und ihre Finger
schlossen sich gespannt und schmerzvoll,
so wie ein Verzweifelter sie schliesst.
»Jetzt glaubte ich an das Wunder,«
flüsterte sie, »aber mein Blick ward zu den
Wunden gezogen, und nicht zum Glorien-
schein, und ich kann nur sie als wirklich
empfinden.«
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