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nach in der menschlichen Natur liegend von
»menschlich« Fühlenden und Denkenden
ersehnt und gefordert wurden. Aber ist
schon die Zahl derer im Verhältnisse zur
allgemeinen platten Stumpfheit menschheit-
lichen Fragen gegenüber eine verschwin-
dend geringe, so reiht Diefenbachs kühner
Drang, seiner entarteten Zeit ein Beispiel
der Erhebung zu diesem von Kunst und
Philosophie ersehnten und geforderten
höheren Menschenthume voran zu leben,
ihn an die Seite jener einzigen, die wir
an jedem Wendepunkte in der Geschichte
des Menschengeschlechtes als »Erlöser«
wirken — und sterben sahen! Der Inhalt
und die Früchte seines seitherigen Lebens,
welche seine Lebensgeschichte dereinst in
wunderbarer Vereinigung von Tragik und
Idealität offenbaren wird, kennzeichnen ihn
als den gleichen Typus unserer Zeit, der
zur Schande der Menschheit seit zwei-
tausend Jahren — wie oft! — gekreuzigt,
gerädert und verbrannt wurde. Der Unter-
schied besteht nur im Wechsel der
äusseren Form, aus der früheren Roh-
heit ward die heutige Raffiniertheit der
Brutalität, welche aus der sechsstündigen
Marter des Kreuzestodes ein zwanzig-
jähriges Martyrium von täglich blutenden
Leiden schuf.
Wie jedes geschichtliche Ereignis sei
auch der blutende »Erlöser« eine Erfah-
rung im Leben der Menschheit, berufen, in
seinen inneren Gründen und Folgewirkungen
erkannt und aus der Geschichte der Gegen-
wart und Zukunft beseitigt zu werden.
Dieser Sinn lag der »Diefenbach-Aus-
stellung« in Wien zugrunde. In den Werken
Diefenbachs liegt die Offenbarung seiner
gewaltigen Bedeutung für Kunst und Cultur-
entwicklung der Menschheit; sie konnte
nur ein Künstler schaffen, der aus der
Fäulnis der Zeit heraus sich mit seinem
ganzen Wesen als Mensch in die lichten
Sphären des »wiedergefundenen Paradieses«
erhoben hat: Per aspera ad astra!
Unbeachtet und unverstanden von den
in wüstem Tagestrubel Dahintaumelnden
kam dieses für die Ehre der Zeit und der
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Menschheit so unerhört bedeutungsvolle
Unternehmen zu Falle. Unter dem allgemein
gegen ihn gerichteten Vorurtheile gefesselt,
verlangt Diefenbach mit Berufung auf die
ihm unter solchen Umständen bewusst
gewordene Gefahr, durch Gehirnschlag
sein Leben zu verlieren, einen Sach-
walter zur Übernahme der seine künst-
lerische Thätigkeit lähmenden Geschäfts-
verhältnisse; die Behörde kehrt sein An-
suchen ins fürchterlichste Gegentheil, in-
dem sie auf Untersuchung von Gerichts-
ärzten hin, welche den Künstler als
von »Wahnvorstellungen« behaftet er-
klären, über ihn die Curatel, d. i. Be-
raubung seiner Wirkensfreiheit und aber-
malige Entreissung seiner mit Löwenmuth
gegen die Pesteinflüsse unserer Zeit ver-
theidigten Kinder verhängt. Er gibt sein Ver-
mögen preis, um die mit ihm um den er-
warteten Erfolg der Austeilung betrogenen
Gläubiger schadlos zu halten; es gelangen
hunderte von bis dahin unbekannten Meister-
werken seiner Hand und seines Geistes zur ge-
richtlichen Schätzung, welche allein für jeden
Denkenden genügen sollte, um jeden Vor-
wurf der »Unehrenhaftigkeit« und des
»Nichts-Arbeitens« von ihm zu wälzen.
In schmerzlichstem Leidenszustande — wie
einst in Höllriegelsgereuthe — mitten im
Winter aus seiner Wohnung gestossen,
seines Vermögens verlustig, in seiner
Freiheit gefesselt, so steht Diefenbach heute
seiner Zeit gegenüber, wehrlos seinen
Feinden preisgegeben, ein dornengekrönter,
unter der Last seines Kreuzes zusammen-
gebrochener Märtyrer seines heiligen
Menschheitsberufes.
O, würde das Bild zur Wahrheit!
Erwachte das natürliche Ehr- und Rechts-
gefühl der zeitgenössischen Gesellschaft
zum Leben, trete aus der Nacht des
Vorurtheils hin vor die Zeit, an deren
Schandpfahl das edelste Streben — leuch-
tend im Sonnenglanze seiner Göttlichkeit
— blutet:
»Warum stirbt dieser ‚Mensch‘?«
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