Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 132

Melusine Unsere Zeitungen (Altenberg, PeterHeidenstam, Verner von)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 132

Text

HEIDENSTAM: UNSERE ZEITUNGEN.

Eines Abends brachte das Mädchen
von »Cabos« die kleinen Bäckereien
für ein Souper. Alberts Gattin kam mit
ihr ins Gespräch. Es war ein wunder-
bar frisches Mädchen. Eine ungeheure
Controverse begann wegen Haselnuss-
crêmefüllung mit Ananas-Glace. So
etwas Geschmackloses habe es zu ihren
Zeiten nicht gegeben. Erdbeer- oder
Himbeerüberzug, wenn man will, gut.
Aber Ananas?! Das ist ja fade. »Wissen
Sie, wofür man Ananasgeschmack
nimmt?! Für Fondants. Nein, wissen
Sie, was mein Höchstes war?! Die
»Victorias«. Der Prinz hat immer sagen
lassen: ‚Ein Kilo »Victoria« und das
Fräulein Anna soll sie bringen.« Aber
das Fräulein Anna hat sie nie gebracht.‘«

»Die »Victorias«?! Die haben wir
Ja auch noch.«

»Die »Victorias«?! Haben Sie denn
eine Idee, Fräulein, wie unsere »Victorias«
waren?! Teigig, ganz teigig, aber doch in
Form. Da ist wirklich der Graf B. jeden
Vormittag Punkt 11, aber Schlag 11,
gekommen und ich habe ihm eingepackt,
ohne zu fragen. Dann die »Régence«!

Aber haben Sie denn eine Idee, wie
viel ich von den »Régence« an einem
Tag verkauft hab’?! Einmal ist die
Frau Baronin D. gekommen, hat ge-
sagt: ‚Liebes Kind, ich brauche für
heute Abend 500 Stück.‘ ‚Frau Baronin,‘
habe ich gesagt, ‚und wenn sie mir
einen Tausender hinlegen, ich kann bis
heute Abend 7 Uhr nur 100 Stück
liefern.‘ So ist es bei uns zugegangen!«.

Lange plauderten sie.

Ganz beschämt über den Geschäfts-
rückgang schlich das wunderbar frisch
aussehende Mädchen von »Cabos« von
dannen.

Abends sagte Albert: »Nun, meine
Frau sieht aber heute wirklich famos
aus. Keine Spur von — —. Direct ver-
jüngt.«

Der Philosoph dachte: »Also auch
Du, Anna?! Wer ist der Glückliche,
sage!? Nie hätte ich Dir die Courage
zugemuthet zu dieser Rosscur!«

Aber Alberts Gattin sass friedevoll
da, und brach langsam ein Petit Fourré
auf, um zu sehen, was für Pasta
darinnen sei.


UNSERE ZEITUNGEN.*
Von VERNER von HEIDENSTAM (Stockholm).

Im South - Kensington - Museum in
London sieht man eine unter Glas und
Rahmen verwahrte Nummer der »Quarter-
ley Review« aus dem Jahre 1819, welche
ihren Lesern folgenden unsterblichen Aus-
spruch bietet:

»Wir sind keine Fürsprecher phan-
tastischer Projecte, die auf nützliche Ein-
richtungen zielen. Der Gedanke an eine
Eisenbahn ist praktisch unausführbar. Die
Vorstellung, ein Dampfwagen könne
zweimal 90 schnell gehen als einer
unserer Postwagen, ist ebenso lächerlich
als absurd. Mit mehr Grund könnte
man erwarten, in Woolwichs Artillerie-
laboratorium mittels einer Rakete beför-
dert zu werden, ab durch eine Loco-

motive, die doppelt so schnell dahinsausen
soll als unsere Postwägen.«

Wie viele Zeitungen werden nicht in
hundert Jahren unter Glas und Rahmen
sitzen!

Wir brauchen nur der spaltenlangen
Litaneien über einen Darwin, einen Wagner
zu gedenken. Wenden wir uns unserem
eigenen Lande zu, so haben wir uns bloss
die gegen Literatur und Kunst gerichteten
Pöbelscenen der Achtziger-Jahre zu ver-
gegenwärtigen. Es ist die Presse, die
den schwedischen Traditionen untreu
geworden, die die gebildeten Classen zu
einer Unbelesenheit und Unbildung ver-
leitet, welche gar viele der Herren, und
Damen der Gesellschaft in grosse Ver-

* Autorisierte Übersetzung aus dem Schwedischen von E. Stine.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 132, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-06_n0132.html)