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legenheit versetzte, wären sie durch einen
Zauberspuk genöthigt, sich eine Stunde
lang mit den Eltern ihrer Grosseltern zu
unterhalten, zu deren Zeiten ein Welt-
mann auch zugleich ein homme a’esprit
sein musste. Es ist die Presse, die mit
ihrer Menschenfischerei das Wort Vater-
land so missbraucht, dass wir es kaum
mehr zu benützen wagen, es immer sel-
tener in den Liedern unserer Dichter
nennen hören. Es bedarf sonst nichts als
eines Moments des Rückblicks von irgend
einem nach Gutdünken und Erfahrung ge-
wählten Aussichtspunkte — und wir be-
kommen eine Ahnung von den Einkünften,
die dereinst den Rahmenvergoldern und
Glasermeistern der Zukunft zufallen müssen.
Ein Denker, ein Naturforscher, vielleicht
sogar manchmal ein Politiker wägt seine
Worte im Gedanken an das Urtheil des
kommenden Tages. Diese Scham vor der
Nachwelt — was bedeutet sie wohl dem
Zigeunergefolge des Geistes aus den vier
Winkeln Europas, das sich vor einiger Zeit
um den Speisetisch der Säle von Drottning-
holm scharte! Es ist die Presse, die unter
anderem die Vorstellung aufrecht erhält,
die Nationen könnten in scharf umgrenzte
politische Parteien getheilt werden. Wofern
nicht besonders verhängnisvolle Fragen ein
ganzes Volk bis zum äussersten aufwühlen,
so besteht »eine grosse politische Partei«
etwa aus einigen hundert oder tausend
Personen, die sich um eine Zeitung
sammeln. Mit anderen Worten: die in
Frage stehende Partei existiert eigentlich
nur in der Presse und ist im übrigen so
gut wie eine Fiction. Die Zeitung erst
sagt ihren Lesern, dass sie eine Partei
bilden und dass sie daher den anderen
Zeitungen misstrauen müssen; streicht
jedoch eines Tages dieselbe Zeitung ihre
einfarbige Parteiflagge, so nehmen die
meisten Leser dies ganz kalt hin, insoweit
sich die Zeitung nicht gleichzeitig an
Geist und Gehalt verschlechtert. In wei-
terem Sinne sind allerdings alle Menschen,
die für einen bestimmten Zweck arbeiten,
Parteimänner. Die Todtentänze allein sind
unparteiisch. Unter einer politischen Partei
jedoch verstehen wir eine Organisation,
welche aus praktischen Gründen ein be-
grenztes Programm aufstellt, und deren
Anhänger ebenso dogmafest sein müssen
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wie die Cardinäle des Papstes. Es liegt
im Wesen der Politik, sich mit Partei-
bildungen abzugeben; nur ihre Umgrenzung
ist eine optische Täuschung. Die Mehr-
zahl der Mitbürger stehen mit dem linken
Fusse in einer, mit dem rechten Fusse
in einer anderen Partei, gehören somit gar
keiner an; die Parteipresse aber schneidet
die Charaktere rund und verhindert
jeden Austausch unabhängiger Meinungen.
Wiederholen wir es, in allen Ländern,
auf der ganzen Erde existieren diese Par-
teien hauptsächlich unter den Zeitungen,
aber nicht unter den Lesern, nicht inner-
halb der Nationen. Wenn Frankreichs
achtunddreissig Millionen Einwohner sich
in einer Ebene versammelten, in weisse
Mäntel gekleidet, alle politischen Partei-
männer jedoch die Verpflichtung hätten,
in blauen Mänteln zu erscheinen, würde
über das endlose weisse Feld hin die
blaue Farbe höchstens einige schmale
Adern bilden, wie Flüsse auf der Land-
karte. Ganz gewiss ist es daher eine
übereilte Behauptung, eine grosse Zeitung
könne nicht von Bestand sein, wenn die
politischen Tagesfragen darin unabhängig
von den Parteien beleuchtet würden.
Parteizeitungen hat es zu allen Zeiten ge-
geben und, wiewohl absichtlich oder aus
Einfalt unehrlich, können sie mit ge-
sammelter Energie zu rechter Stunde
eine ungeheure Wirkung erzielen. All-
mählich musste jedoch die steigende
Bildung das Publicum in einem Masse
mit Kritik bewaffnen, der gegenüber
Zeitungen dieser Art zu mehr oder minder
unbrauchbaren und veralteten Waffen
würden.
Wir sind heutigentags so übersättigt
mit Schwarzmalereien aller Art, dass es
keine besondere Verlockung ist, mit diesen
Zeilen noch ein Tintenfass über die alte
Decke zu stürzen. Strafpredigten sind nach-
gerade so abgedroschene Gassenhauer ge-
worden, dass manch einer aus blossem
Überdruss Lust bekommen könnte, eine
andere Weise anzustimmen und zur Steuer
der Gerechtigkeit ein paar armselige Blumen
in die Hände der gegeisselten Zeitgott-
heiten zu stecken.
Nirgends schreit man so sensationell
über die Verderbtheit der Zeit wie in der
Presse; willst du aber mit eigenen Augen
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