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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 137

Text

KARL HALLWACHS.
Ein Meister des Liedes.
Von GEORG FUCHS (Arheilgen bei Darmstadt).

Konrad Ferdinand Meyer* ist der
erste deutsche Dichter, von welchem Lieder
in der Composition eines jungen Tonsetzers
an die Öffentlichkeit gelangen, dessen
schöpferische Thätigkeit in den Kreisen
der Freunde lauterer Kunst schon seit
Jahren mit lebhaftester Antheilnahme ver-
folgt wird. Als ein verfeinerter stolzer
Geist nicht gewillt, die düsteren Pfade zu
betreten, welche in dem von epigonen-
hafter Mittelmässigkeit und oberflächlichem
Geschäftstreiben allzusehr beeinträchtigten
deutschen Musikleben zu einem fragwürdigen
Ruhme führen, hat er Jahr um Jahr ge-
schaffen und gesungen, glücklich eine
kleine Runde von Männern und Frauen
um sich zu sehen, welche die wahre Kunst
mit sehnendem Herzen suchend, ihm Dank
wussten für all das Schöne, das er aus
voller Seele gab. Nur dem unablässigen
Drängen erfahrener Freunde und bewährter
Künstler ist es gelungen, Hallwachs zur
Veröffentlichung dieser ersten Reihe seiner
Gesänge zu bewegen. Und selbst noch
in diesem Hervortreten zeigt sich eine
gewisse Zurückhaltung, ein Zögern sich
voll und ganz zu geben, eine vornehme
Bescheidenheit, welche in unserer Zeit
der rohen Reclame einen besonders ge-
winnenden, fast rührenden Eindruck hervor-
ruft. Doch ehe wir die Eigenart dieser
Lieder eingehender zu schildern versuchen,
müssen wir, um zugleich ihrem Schöpfer
wenigstens in einigem gerecht werden zu
können, zurückgreifen auf eine Studie über
Hugo Wolf, welche Hallwachs im Jahre
1893 veröffentlichte, und welche der Hugo-
Wolf-Verein in der von ihm heraus-
gegebenen Sammlung von Aufsätzen über
Wolf wieder abgedruckt hat. Nicht ohne
eine gewisse stille Hochachtung vor der
selbstlosen, freimüthigen Art, mit welcher

hier ein Künstler dem anderen ohne Rück-
halt den Vortritt liess, wird derjenige die
Ausführungen von Hallwachs verfolgen,
welcher inzwischen mit seinen Werken
vertraut geworden ist. Denn schon damals
war Hallwachs hinausgeschritten über den
von Hugo Wolf so herrlich durchgebildeten
Stil der musikalischen Declamation zu
einem neuen, geschlossenen Charakter
des Liedes auf modernster Grund-
lage
. Wenn es ein Zeichen ausserordent-
licher Menschen ist, schweigen zu können,
bis »ihre Stunde« kommt, ohne Ver-
bitterung, mit redlichem fröhlichen Geiste,
so darf Hallwachs die Beweiskraft dieses
Schweigenkönnens voll für sich in An-
spruch nehmen!

Jene Studie war in der That ein Rück-
blick über die Entwicklung des Liedes seit
Mozart überhaupt. Seien uns einige gekürzte
Auszüge gestattet! — »Die knappe, streng
gegliederte Form des Volksliedes, wie wir
sie mit wenigen Ausnahmen noch bei
allen Liedercomponisten vor Mozart und
Beethoven finden, erfuhr durch diese Meister
grössere Erweiterung und Vertiefung in
formaler und musikalischer Beziehung.
Beide folgen den lyrischen Stimmungen des
Gedichtes in die feinsten Züge und stellen
sie vereinzelt musikalisch dar. Das Gedicht
in seiner Grundstimmung musikalisch
nachzuempfinden, vermögen sie im all-
gemeinen noch nicht. — Schubert besass
in hohem Masse diese Fähigkeit des Ver-
dichtens der Gedanken
. Ihn trieb bei
seinem Schaffen aber in erster Linie die
Begeisterung des Gesangscomponisten, der
Wunsch, was bei einem Gedichte empfunden
wird, in erster Linie der Singstimme zu
geben; das Clavier — ist untergeordnet.
— Schumanns Liedercompositionen wurden
zunächst durch das Bestreben hervor-

* Zehn Gedichte von C. F. Meyer für eine Singstimme mit Clavierbegleitung von Karl
Hallwachs
. Verlag von K. Ferd. Heckel in Mannheim.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 137, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-06_n0137.html)