Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 140

Karl Hallwachs Bei Strindbergin Lund (Fuchs, GeorgUddgren, Gustaf)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 140

Text

UDDGREN: BEI STRINDBERG IN LUND.

Wagner anschliessende Tiefer-Deutung des
gegebenen poetischen Stimmunggehalts
ganz eng und unmittelbar in eine gross-
zügige reine Melodik aufgehen lassen,
welche den neuzeitlichen declamatorischen
Gesang erst zum eigentlichen Liede empor-
führt. Freilich können wir zu einer
kritischen Darstellung seines Stiles erst
dann zu gelangen versuchen, wenn die
grösseren und theilweise die Meyer-Lieder
noch überragenden Cyklen der Öffent-
lichkeit übergeben sein werden, wozu sich
der Künstler hoffentlich bald entschliesst.
Für die Kenntnis seines Stiles sind nament-
lich seine Compositionen nach mittel-
hochdeutschen Minnesängern, nach Goethe,
Tieck, Hölderlin und einigen Dichtern
neuerer Zeit, wie Stefan George,* in

Sonderheit die »Lieder eines fahren-
den Spielmannes
« wesentlich, da in
ihnen eine Strenge und Einfachheit er-
rungen ist, an welche nur die besten
Stellen der vorzüglichsten Meyer-Lieder
heranreichen. Ferner müsste ein Chor-
werk wie »Hyperions Schicksalslied«
herangezogen werden, und endlich aus
seiner burlesken Oper »Ramaka« Tänze,
Lieder und symphonische Partien. Dann
erst liesse sich ein Bild von der Indivi-
dualität dieses Künstlers geben, der mit
der Veröffentlichung der vorliegenden
Lieder nach C. F. Meyer an die musi-
kalische Welt die Frage richtet, ob sie
der reinen, schöpferischen Kunst einen
Theil des ihr zukommenden Rechtes zu-
zugestehen bereit sei.

* Stefan Georges »Lieder eines fahrenden Spielmannes« finden sich auf Seite 70 der bei
G. Bondi in Berlin erschienenen II. Ausgabe seiner Werke, in den Büchern der »Sagen
und Sänge«.


BEI STRINDBERG IN LUND.
Von GUSTAF UDDGREN (Stockholm).

Der Zug kam aus der dunklen Nacht
der Smalandswälder und brauste über
die schoonische Ebene, die in dem ahnungs-
vollen Halblicht des Morgengrauens dalag.

Da schneidet die Sonne plötzlich einen
blutigen Streifen in die Wolken des Ostens,
und durch die offene Wunde steckt sie
ein grosses glänzendes Antlitz von glühen-
dem Eisen hervor. Gleichzeitig erhebt sich
auf der gegenüberliegenden Seite die zackige
Silhouette einer schwarzen Stadt, wie um
das Gleichgewicht zwischen Schatten und
Licht herzustellen. Aus den dunklen Haus-
massen erheben sich zwei Thürme wie ein
paar Finger, die einen Eid zum Himmel
ablegen wollen.

Das ist Lund.

Wir wanderten durch ein Zickzack-
labyrinth schmaler Gässchen zu dem ent-
legenen Zufluchtsort, wo der Fünfzig-
jährige weilt. Sein Freund, Redacteur
Bülow, hat uns einen kleinen Wegweiser
zur Verfügung gestellt.

»Hier ist es, Tomegapsgatan 14,«
sagt der Junge, und wir treten durch
eine Einfahrt, aus der wir in einen grossen

Hof kommen, auf drei Seiten von Haus-
mauern umgeben, und nach der vierten
zu von einem Staket und einem kleinen
Garten abgeschlossen.

In dem niedrigen Seitengebäude rechts
hat Strindberg seine Wohnung. Dort
oben im zweiten Stock, wo der wilde
Wein seine höchsten Ranken um die
Fenster schlingt. Das niedrige Wohnhaus,
die Weinranken, die kleinen, schlanken
Bäume davor, die graue Steinmauer im
Hintergrund, all dies zusammen macht
auf mich den Eindruck, als wäre ich
plötzlich aus dem schweren Norden in
das leichte, frohe Frankreich versetzt,
wo die Sonne die Landschaft in einen
rosenfarbigen Nebel aufzulösen vermag.

So viel kann unsere kalte Winter-
sonne nicht. Aber sie strahlt heute, als
wollte sie all ihre Wärme auf diese
Stelle concentrieren, wo der unermüdlich
Kämpfende eine zeitweilige Zuflucht ge-
funden.

Wir klimmen eine Holztreppe empor
und bleiben vor einer Glasthür stehen,
durch die wir in ein kleines dreieckiges

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 140, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-06_n0140.html)