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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 139

Text

FUCHS: KARL HALLWACHS.

Wesens in der declamatorischen Art
Wolfs, aus der aber dann plötzlich der
melodische Refrain jauchzend und über-
wältigend hervorbricht:

»Eine Flamme zittert mir im Busen,
Lodert warm zu jeder Zeit und Frist — «

Drei dieser Lieder aber geben uns den
ganzen, ausgereiften Künstler. Sie sind
von jener Höhe, die es dem Zeitgenossen
verbietet, in der Öffentlichkeit lobende
Redensarten darüber preiszugeben. Es
kommt hinzu, dass diese drei Lieder zu-
gleich zu den besten Gedichten des jüngst
dahingegangenen Poeten vom Kilchberg
gehören. — »Ewig jung ist nur die Sonne,
sie allein ist ewig schön« — diesen Re-
frain, den er so beglückend gesungen hat,
möchte man als Motto auf die Werke
unseres Tonsetzers schreiben. Ein sonniger
Geist von hinreissendem Temperament,
von unerschöpflicher Phantasie, von lachen-
dem, frohem Sinne, aber auch von einer
ganz eigenen, schweren Melancholie und
Tiefe, ein reicher glücklicher Mensch voll
Wohllaut, Schönheit, Jugend und Reiz:
das ist Karl Hallwachs. Es ist die frische,
unverfälschte, im hellenischen Verstande
sinnliche Pracht, welche diese Kunst,
ganz abgesehen von ihren rein ästhetischen
Werten, vor allem anziehend macht. Man
fühlt aus diesen Klängen, dass der, welcher
sie schuf, selbst ein begnadeter Sänger
sein müsse, der es liebt, sich an dem
Wohlklang der eigenen Stimme zu be-
rauschen, der überströmt von dankbaren,
kräftigen Gefühlen, ein Sonntagskind an
Leib und Seele. In der That: die Natur
hat selten so viele Gaben auf einen ein-
zigen Liebling gehäuft. Seine Kunst ist
der reine ungetrübte Wiederklang seiner
Natur. Er empfindet wieder etwas von
der »Convention« des Liedes, und die
moderne Zunftkritik wird es nicht unter-
lassen können, ihn um »conventioneller
Wendungen« willen zu tadeln. Einer
tieferen ästhetischen Erfahrung wird es
aber dauernd nicht verborgen bleiben
können, dass den Kunstformen, insonder-
heit den geselligen Künsten — und das
Lied ist die geselligste aller Kunstarten —
gewisse »Conventionen« nothwendig sind,
wenn anders sie nicht in Mischgattungen
überfliessen sollen. Goethe hat darüber
mancherlei gesagt, vorzüglich im Hinblick

auf das Schauspiel. Ein schöpferischer
Geist wird aus diesen conventionellen
Nöthen Tugenden gewinnen, er wird sie
mit neuer Glut beseelen, individuell deuten
und ihnen so den Eindruck des »Floskel-
haften«, Trivialen nehmen. Dies dünkt mich
besonders erwähnenswert bei der Behand-
lung des Refrains durch Hallwachs, etwa
»Ewig jung ist nur die Sonne« oder:
»Wie schwellen die Lippen des Lebens
so roth!« oder: »Geh und lieb’ und leide.«
Die Eigenart dieses Liedersängers offenbart
sich in dem Cyclus nach G. F. Meyer am
vollsten in dem »Hochzeitsliede«, in der
»Veltliner Traube« und im »Schnitterliede«:

»Wir schnitten die Saaten, wir Buben und
Dirnen,
Mit nackenden Armen und triefenden Stirnen,
Von donnernden dunklen Gewittern bedroht.
Gerettet das Korn! Und nicht einer der darbe!
Von Garbe zu Garbe
Ist Raum für den Tod.
Wie schwellen die Lippen des Lebens so roth!«

Wer dieses berühmte Lied einmal in
der Fassung hören durfte, die ihm Karl
Hallwachs gegeben hat, wird es nie ver-
gessen, wird es sich anders gar nicht
mehr vorstellen können. Hier ist für einen
erschöpfenden Inhalt eine erschöpfende
Form gefunden. Mehr kann die Kunst am
Ende nicht geben. Und trotz aller warm-
blütigen Wucht ist das Lied von einer
stilistischen Strenge, ein so echtes »Lied«,
keine tiefsinnige »musikalische Betrach-
tung«, von einer geradezu holzschnitt-
artigen Gedrängtheit, welche eine seltene
Kunsterfahrung, eine unerbittliche künst-
lerische Selbstzucht voraussetzen lässt.
Während hier eine entfesselte, tolle Lebens-
lust, Winzerjubel und gesegnetes Ernte-
glück erschallt, glüht in der »Veltliner
Traube« ein tiefes Feuer, ein inbrünstiger
schwüler Drang, der endlich in einem
wahrhaft orgiastischen Pathos majestätisch
ausklingt:

»Mein unbändiges Geblüte,
Strotzend von der Scholle Kraft,
Trunken von des Himmels Güte,
Sprengte schier der Hülse Haft.
Aus der Laube niederhangend,
Glutdurchwebt und üppig rund,
Schwebt’ ich dunkel, purpurprangend,
Über einem rothen Mund.«

Hier hat Hallwachs jene an Hugo
Wolf und in weiterer Beziehung an

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 139, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-06_n0139.html)