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gerufen, den Inhalt des Gedichtes in
allgemein-musikalischer, weniger in
gesanglicher Beziehung wiederzugeben.
Das Clavier gewinnt bei ihm an Selbst-
ständigkeit und ist unabhängig von der
Singstimme mitthätig bei der Charakteri-
sierung des Textes. Schumann schwankte
zwischen beiden Ausdrucksweisen, seine
Behandlung ist weder das eine noch das
andere ganz, sie tritt aus der Sphäre
absolut musikalischer Auffassung heraus,
ohne die neue Ausdrucksweise zu erreichen.
Und so ist es mit der grossen Zahl der
Liedercomponisten, die nach Schubert und
Schumann thätig waren. — Erst Hugo
Wolf hat sich von jeder formalen und
musikalischen Fessel befreit und auf Grund
der Wagnerschen Musikdramatik, bei der
Orchester und menschliche Stimme völlig
unabhängige, gleichberechtigte Factoren
sind, eine neue Ausdrucksform gefunden.
Für Wolf ist mit Wagner die Dichtung
alles, und die Musik nur insoferne
von Interesse, als sie diese zu er-
höhter Ausdrucksfähigkeit zu brin-
gen vermag. Wolf ist, so sonderbar
dies klingen mag, eigentlich gar nicht als
Componist thätig; die musikalischen Ge-
danken als solche haben für ihn, absolut
betrachtet, gar kein Interesse, sie sind
ihm stets nur Mittel, Mittel, um die
Wirkung der Dichtung zu erhöhen.«
Sodann weist Hallwachs mit begeisterten
Worten nach, wie Bedeutendes Wolf in
dieser Richtung geschaffen habe, um am
Schlusse zu bekennen, dass er Wolfs beste
Lieder denen Schuberts fast als ebenbürtig
erachte. Nur in einer einzigen Wendung
lässt er den Wissenden fühlen, dass ihm
eine noch feinere, musikalischere Kunst-
form des Liedes denkbar sei, indem er
andeutet: »Rein musikalisch kann man
Wolf ebenso wenig beurtheilen wie Wagner,
Berlioz und Liszt. Wir wollen auch nicht
untersuchen, inwieweit seine Art und Weise
zu schaffen vom Standpunkte der absoluten
Musik aus ästhetisch berechtigt ist.«
Der von Karl Hallwachs selbst er-
strebte Stil eines modernen Liedes führt
weiter, führt wieder zur rein-musi-
kalischen Melodik bei Aufrechterhal-
tung der von Hugo Wolf so hoch ent-
wickelten Art der Stimmungs-Interpretation.
Für die Kenner Hugo Wolfs lässt sich
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die Eigenart der Hallwachs’schen Gesänge
ungefähr veraugenscheinlichen, wenn man
sagt: Hugo Wolfs, den Text verklärende
und tief durchglühende Declamation ver-
eint mit einer geschlossenen, reich-
melodischen Formengebung bei er-
mässigter aber dennoch wesentlicher und
oft selbständiger Mitwirkung des Klaviers.
Niemand, der mit unseren musikalischen
Dingen vertraut ist, wird sich der Bedeu-
tung dieses stilistischen Fortschrittes ver-
schliessen können. Es scheint uns etwas
zu sein, das kommen musste: aber
gerade das zu bringen, was noth-
wendiges Ergebnis einer Entwicklung
ist, das war von je den Geistern vorbe-
halten, welche man früher Genies zu
nennen liebte.
Es ist für Hallwachs bezeichnend,
dass er aus seinen Liedercyklen gerade
den auswählte, welcher die ihm und
Wolf gemeinschaftliche declamatorische
Grundlage am deutlichsten erkennen lässt.
Er gab zunächst das Unauffälligste, um
die Verwechslung mit denen zu vermeiden,
welche sich mit einer krampfhaften »Origi-
nalität« in der musikalischen Welt vorzu-
drängen suchen. Er gesteht zu, dass er
Wolf mancherlei verdankt, ja er scheint
absichtlich die Meinung nähren zu
wollen, als ob er eigentlich gar nichts
Neues brächte. Man wird bei Liedern
wie »Das Seelchen«, »Liebesflämmchen«,
»Requiem«, ja selbst noch bei dem ent-
zückenden »Was treibst du Wind?« wohl
eine »persönliche Note«, nicht aber jene
melodische Steigerung des modernen Lied-
charakters herausempfinden. Allein schon
in den »Nachtgeräuschen«, welche im
übrigen noch jener Compromissgruppe
angehören, lässt die pathetische Schil-
derung des »Geisterlauts der ungebroch’nen
Stille« und die Modulation von dieser zu
der grandiosen Figur: »Wie das Athmen
eines jungen Busens etc.« keinen Zweifel
mehr, dass sich hier ein ausserordentlicher
Melodiker mit einem tief empfindenden
Interpreten und einem eigenartigen Har-
moniker zu einer schöpferischen Persön-
lichkeit von besonderem Range verbunden
habe. »Das heilige Feuer« ist in ähn-
licher Weise entwickelt: eine einfache
aber harmonisch sehr farbige Malerei
der düsteren Stimmung des vestalischen
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