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sehen, wo diese uralte Verderbnis ihren
lustigen Wohnsitz hat und wo sie Hoch-
zeit feiert mit der typischen neuen, so
weisst du, wo du sie zu suchen hast:
gerade in der Presse. Die Unarten, welche
man vor hundertfünfzig Jahren an einem
Staatsmann noch nicht als verunzierend
betrachtete, sie spazieren hier ohne Scham
bei hellichtem Tage einher. Wer du auch
seist, vor diesem unbekümmerten Ballspiel
mit allen Ehrbegriffen schreckst du zurück.
Wie in einer Stapelstadt mit Eisen und
Holz, so handelt man hier mit Ansichten
und Menschen. Man kann ruhig behaupten,
dass eines der untrüglichsten Kennzeichen
von Welterfahrung und klarem Verstand
eine vollkommene Gleichgiltigkeit gegen-
über den Äusserungen der Zeitungen sei.
Telegramme in fetten Lettern unterrichten
uns, dass diese oder jene ausländische
Zeitungsactiengesellschaft sich so und so
geäussert habe, wir aber wissen, dass
jedes Wort von den Interessen der in
Frage stehenden Gesellschaft dictiert ist.
Unaufhörlich sprechen die Zeitungen im
Namen des Publicums. Unaufhörlich preisen
sie sich selbst und bewerfen einander mit
den haarsträubendsten Beschuldigungen;
das ermüdete Publicum dagegen gähnt
und glaubt Judas vor sich zu haben, der
mit den Wucherern im Tempel darüber
streitet, wer von ihnen ohne Sünden sei.
Mitten in der Welt, in die wir soeben
geblickt, begegnest du nicht blos Kennt-
nissen und willensstarken Charakteren, son-
dern gar oft auch einer Gestalt von
schneidenderer Tragik, als das erbitterte
Publicum glauben möchte. Tritt ein junger
Mann in den Dienst der Presse, so geschieht
es zumeist in der Hoffnung, eine ganze
Menge guter und lobenswerter Dinge
leisten zu können — manchesmal glückt
es ihm. Nicht selten aber ermüdet er nur
allzuschnell oder entdeckt, dass seine
Hände gebunden sind. Entweder wird er
dann ein smarter Zeitungsmann, dem
nichts heilig ist, nicht einmal sein eigener
Ruf, oder aber es beginnt für ihn eine
Reihe von Demüthigungen während einer
anstrengenden und vielerfordernden Arbeit
ums tägliche Brot. Wohin er kommt,
sieht er sich fast als ein Paria betrachtet,
und er gibt den Lästerzungen zum Theile
recht, ohne doch die Möglichkeit einer
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Rehabilitierung vor sich zu haben. Vielleicht
träumt er von einer Idealzeitung ohne
finanziellen und parteipolitischen Zwang,
doch die Jahre machen ihn zum Zweifler
und er wird bitter und scheu. Wüssten
wir, wenn wir dem Manne begegnen, was
er durchgemacht, wir würden ihm die
Hand drücken, warm und lange drücken.
Im Vergleiche mit dem Auslande er-
ringen unsere Verhältnisse meistentheils
den Preis, und trotz allem Oberwähnten
gilt dies auch für die Presse. In langen
Reihen flattern die Schatten, welche die
europäische Zeitungswelt verdunkeln, auf
ihren Krähenflügeln über unser Land —
einigen unter ihnen haben wir soeben
einen Blick zugewandt — aber sie begegnen
im Volkscharakter einem Widerstand, der
sich wann immer in offenen Aufruhr
verwandeln kann. In Bezug auf Technik
und Fülle des Inhalts reichen unsere
Zeitungen bis an das Überraschende hinan.
Indessen wird man mit gutem Fug und
Recht die Provinzpresse in der Regel als
culturell und moralisch über der haupt-
städtischen Presse stehend erachten. Der
Grund ist ein einfacher. Nur eine kleine
Zeitung kann persönlich geführt werden.
Es geschieht alle Tage, dass ein Gross-
städter auf einer Eisenbahnstation ein
kleines Provinzblatt in die Hände bekommt,
dessen humaner und aufgeklärter Ton ihm
die aufrichtigste Achtung einflösst. Er
wird sogar, nachdem er das Blatt beiseite
gelegt, ohne Übertreibung eingestehen,
dass er nirgends eine bessere Provinzpresse
gefunden als innerhalb Schwedens Grenzen.
Die grossen Gesellschaften dagegen müssen
unbedingt theilweise als Geschäftsunter-
nehmungen geführt werden, wodurch der
Redacteur in eine Zwischenstellung geräth,
die ihm die Hände bindet und den Tadel,
der seine Person trifft, oft zu einem un-
gerechten macht. Wenn nun einerseits
die Verwandlung der Presse in weitläufige
Geschäftsunternehmungen verschiedene der
obgenannten Schattenseiten mit sich bringt,
so erheischt anderntheils eine grosse Zeitung
auch nothwendig ein grosses Capital; diese
Klippe ist eben nicht zu umsegeln. Die
Flut von Gold und Silber, die sich tag-
täglich über alle die surrenden Räder einer
grossen Zeitung ergiesst, um sie in Gang
zu erhalten, erscheint einem Uneingeweihten
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