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geradezu phantastisch. Aber das wissen
wir alle, dass, wo Geschäft und Ehrlich-
keit gemeinsam Hütten bauen wollen, eine
noch schwierigere Kunst erforderlich ist,
um den Grenzweg abzustecken als zwischen
unseren beiden Bruderreichen. Es ist in
erster und letzter Reihe eben jene er-
bärmliche und dabei so unausweichliche
Verquickung ökonomischer und idealer
Dinge, die unser Rechtsbewusstsein ver-
letzt; allein der Sache ist damit nicht ge-
dient, dass wir das Verdammungsurtheil
aussprechen und uns abwenden. Im Gegen-
theil, diese Frage betrifft unser ganzes
Volk, unsere ganze Zukunft. Heutzutage
ist wohl fast jeder, der einigermassen die
Feder zu führen versteht, auch mehr oder
minder ein Publicist. Es ist daher aller
Pflicht, diesen Fragen zu Leibe zu rücken
und zu berathschlagen, ob nicht mit
gutem Willen Mittel und Wege zu finden
wären, die möglicherweise dahin führen
könnten, mindestens einen oder den andern
augenfälligen Übelstand aus dem Wege
zu räumen.
Der kürzeste dieser Wege wäre der,
jede grosse Zeitung in bedeutend ausge-
dehnterem Masse als bisher auf das Persön-
lichkeitsprincip zu gründen, so dass jedem
Mitarbeiter eine selbständigere Stellung,
hiemit aber auch eine in gleichem Masse
erhöhte Verantwortung zugemessen würde.
Mit anderen Worten, die grossen Zeitungen
sollten von jedem Versuch abstehen, gleich
den kleinen Blättern eine individuell ab-
gerundete Einheitlichkeit zu bilden, und
sich statt dessen sozusagen nach der
Methode der Gothik mit weiterreichender
persönlicher Freiheit für die vielen mit-
schaffenden Bildhauer aufbauen. Eine solche
Organisation, die aller Wahrscheinlichkeit
nach die der künftigen grossen Zeitungen
sein wird, bedeutet keinen Verfall, sondern
einen Aufschwung, wenn auch auf neuem
Fundamente. Eine absolute Verbannung der
Anonymität, die natürlich das Wünschens-
werteste wäre, begegnet verschiedenen
praktischen Schwierigkeiten — darunter
derjenigen, dass das beständige Unter-
zeichnen des Namens einen gewissen An-
spruch verräth, der so manche Arbeit
schützen kann. Handelt es sich um scherz-
hafte Artikel, so kann ja auch eine Mystifica-
tion nichts als ein unschuldiger Spass sein,
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und wer nicht eine gewisse Dosis Neckerei
verträgt, der verdient eigentlich, niemals
ernst genommen zu werden. Der Scherz
ist ein schützender Blitzableiter, und unsere
Witzblätter erfüllen dieselbe Aufgabe wie
seinerzeit die Spottlieder um die Triumph-
wägen oder die Carnevalstravestien der
Messen. Es gibt indessen gewisse Fälle,
wo das Publicuum unbedingt auf voll-
ständiger Abschaffung der Anonymität
bestehen sollte. Dies gilt für heftig an-
greifende und polemisierende Artikel aller
Art. In erster Linie drängt sich diese
Forderung natürlich bei Anklagen gegen
einzelne Personen hervor — einerlei, ob
nun die Anklage berechtigt ist oder nicht.
Es ist die Aufgabe des Angebers, in
seinem eigenen offenen Namen die Frage
in diesem späteren Theile zum Austrag
zu bringen. Die Maske des Pseudonyms
ist hiebei gleichbedeutend mit keinem
Namen. Wer öffentlich einen oder mehrere
seiner Mitmenschen anklagt, ohne es zu
wagen, seinen Namen unter das Acten-
stück zu setzen, verstösst gegen die ein-
fachsten Ehrbegriffe und begeht eine ent-
ehrende Handlung. Noch entwürdigender
erscheint eine derartige Meuchelthat, zur
Aufführung gebracht von einem oder dem
andern, der sich hiebei seiner ökonomischen
Machtstellung bei der Zeitung bedient. Er
degradiert sich damit zu einem simpeln
Pamphletisten, der nicht einmal die Am-
bition besitzt, für sein eigenes Wort ein-
zustehen. Die Geduld des Publicums ist
in dieser Richtung so lange auf die Probe
gestellt worden, und die Unzufriedenheit
ist eine so heftige, dass es nicht über-
raschen würde, wenn jemand eines schönen
Tages versuchte, das Unwesen der Ano-
nymität auf gesetzlichem Wege zu be-
grenzen.
Vor allen Dingen würden Reformen
dieser Art uns dazu verhelfen, die Äusse-
rungen der Presse auf den richtigen Wert
zu reducieren und den Aberglauben zu ver-
ringern, dass ein »Leitartikel« zur selben
Stunde, da er im Namen der Zeitung
proclamiert wird, als Orakelspruch zu be-
trachten sei. Man sollte einsehen lernen,
dass eine Zeitung an und für sich keine
höhere Autorität ist als welche andere
Gesellschaft immer, und dass die Bedeutung
eines Artikels ausschliesslich in dem Be-
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