Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 146

Randglossen zur Bacon-Shakespeare-Frage Eine von vielen (Bötticher, GeorgBliss, Paul)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 146

Text

BLISS: EINE VON VIELEN.

die mich doch wenigstens schwitzen macht,
als mit Goethes gefrorenem Weine, der
nur in den Kopf steigt und dort hinauf
alles Leben pumpt.«

Wir haben die Hauptkraftstellen voll-
ständig hergesetzt, als ein vorzügliches
Beispiel jener borniert - geistreichelnden
Kritik, die mit tönenden Phrasen über die
Leere und Verwirrtheit ihres Denkens zu
täuschen versucht und das Grosse be-
geifert, weil sie es nicht zu fassen vermag.
Die Zeit ist längst über die Abgeschmackt-
heiten eines Börne hinweggeschritten, diese
in das ihnen gebürende Dunkel ver-
senkend. Die erstaunliche Entdeckung
Goethes aber (vom Zwischenknochen) —
die jenen Börne’schen Wuthausbruch ver-
anlasste — glänzt noch heute als ein leuch-
tendes Blatt im Ruhmeskranze des Ge-
waltigen. Auch von uns ist die Börne’sche
Tirade nur als typisch für die Anschauungs-
weise gewisser Kreise hervorgeholt worden,
eine Anschauungsweise, die leider noch
heute die herrschende ist und es haupt-
sächlich verschuldet, wenn nach den er-
schöpfenden Darlegungen Bormanns die
Verfasserschaft Bacons an den Shakes-
peare-Dramen schon um deshalb für un-
denkbar erklärt wird, weil dieser Bacon
ein Mann der Wissenschaft und ausserdem
noch ein Staatsmann war!

Und wenn nun wirklich — so sagen
diese Neunmalklugen — der Staatsmann
und Gelehrte Bacon diese Dramen ge-

schrieben hätte (wozu er weder Fähig-
keit noch Zeit besass), warum denn hat
er sich nicht öffentlich, voll Stolz, dazu
bekannt?

Hierauf — um nur einen Grund für
diese seine Handlungsweise anzuführen —
mag Michel de Montaigne antworten,
der in seinen »Essais« (ich citiere nach
der deutschen Ausgabe von 1793) schreibt:

»Und wenn die Vollkommenheit und
Richtigkeit der Sprache einigen, für einen
grossen Mann schicklichen Ruhm gewähren
könnte, so hätten gewiss Scipio und Lälius
der Ehre nicht entsagt, ihre Lustspiele
verfertigt zu haben, und sie hätten wohl
nicht einem afrikanischen Sclaven den
Ruhm der Kunst überlassen, so zierliches
und geschmackvolles Latein zu schreiben.
Denn, dass es wirklich ihr Werk sei,
erhellet klar genug aus seiner Schönheit
und Vortrefflichkeit; und Terenz ge-
steht es selbst ein
Es ist eine Art
von beleidigender Hohnneckerei, einen
Mann wegen solcher Eigenschaften
,
die sich mit seinem Stande nicht
reimen
, so löblich solche an und für
sich sein mögen, anpreisen zu wollen

So der kluge, freimüthige aber lebens-
kundige Montaigne, der das Verfahren
jener Scipio und Lälius nicht nur ver-
theidigt, sondern auch noch in seiner Zeit
für nützlich und angemessen erachtet, in
seiner Zeit, die auch die Zeit des jugend-
lichen Bacon war.


EINE VON VIELEN.
Ein Grosstadtbild.
Von PAUL BLISS (Berlin).

Den ganzen Nachmittag hindurch hatte
sie vergeblich gewartet, jetzt brach schon
der Abend herein und noch immer kam
Fritz nicht.

Sie stützte den Kopf in die Hand und
sah zum Fenster hinaus; wie träumend
sah sie hinunter auf den Wirrwar der
Strasse, nichts erkannte sie, alles ver-
schwamm ihr in ungewissen Linien; ihre
Augen wurden feucht und langsam fielen
die Thränen auf ihre Hand.

Er wich ihr aus!

Seit langer Zeit schon hatte sie es
bemerkt — er verbarg ihr etwas — das
machte ihn unsicher und verlegen — und
darum wich er ihr aus.

Das machte sie tief traurig, denn sie
liebte ihn mit ganzer Hingebung — sie
lebte ja nur für ihn!

Aber sie wollte ihn auch nicht fragen. Er
hatte das nicht gern. Und deshalb verzehrte
sie sich nun in Zweifeln und Grübeln.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 6, S. 146, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-06_n0146.html)