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Rysselberghe ist wohl einer der unermüd-
lichsten Problemsucher. Ein Unabhängiger
durch und durch, folgt er dem Ausspruche
Constables: »Sobald ich mit meinem Blei-
stift oder mit meinem Pinsel ein Stück Natur
erhaschen will, ist mein erstes Bemühen,
ganz zu vergessen, dass ich jemals in meinem
Leben — ein Bild gesehen habe.« Die ihm
eigene Vision von Naturstimmungen hat
Rysselberghe mit rücksichtsloser Wahrheit
festzuhalten versucht.
Er wählte dazu eine Technik, die ihn
mehr als jede andere seinem Ideal von
Licht und Leuchtkraft näher zu bringen
schien. Es ist wohl unnöthig hier auf die
schon so oft besprochene Technik der
Pointillisten näher einzugehen.
Von Semat zuerst geübt, von Pissaro
weiter vervollkommt, hat Rysselberghe
eigentlich sie erst gemeistert. Es ist unleug-
bar, dass die Zerlegung der Farbentöne und
der Auftrag dieser Farben in nebeneinander-
gesetzten Punkten dem Bilde eine so
fluctuierende Bewegung verleihen, die Gra-
dierung der Werte derart verfeinern, die
Intensität des Lichtes so sehr erhöhen
— dass eine ganz unerwartete, beinahe
brutal lebendige Wirkung erzielt wird.
Ob das störende Vordrängen der mo-
saikartigen Pünktchen, das crasse Vor-
herrschen der Mache nicht häufig die Auf-
merksamkeit des Auges zu sehr von dem
inneren Wesens des Bildes ablenkt, ob
die Seltsamkeit in der äusseren Wieder-
gabe nicht das innere Wesen der Werke
Rysselberghes zu sehr in den Hintergrund
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drängt — das ist eine Frage, welche
ebenfalls erst nach langem vertrauten Um-
gang mit diesen Bildern beantwortet
werden könnte. Jedenfalls sind die aus-
geglichensten schönsten Bilder die zwei
Frauenporträts. Besonders das Porträt
der Madame George Flé. Und gerade
da hat Rysselberghe die Pointillierung sehr
schwach accentuiert, indem er die Lein-
wand zuerst glatt untermalte, und dann
nur die Lichter und Schatten in punto
daraufsetzte. Dieses Compromiss gibt das
erfreulichste Resultat. Beweglichkeit der
Linien, Schimmer der Atmosphäre, lebende
Unruhe sind gewahrt, ohne dass dies auf
Kosteneiner gar zu sehr hervorstechenden
technischen Eigenthümlichkeit geschieht.
Alles in allem ist Rysselberghe einer
der interessantesten Repräsentanten des
Impressionismus. Er hat das ungeheuere
Können, welches allein es ermöglicht,
dass die Grenzen des Darstellbaren in
immer solidere Formen gerückt werden.
Das Wesenloseste — die Klarheit — das
Unfassbarste — die Luft — das Leuch-
tendste — die Sonne — hat auch er
gleich Manet, gleich Pissaro, schildern
gelernt. Theils durch die Kraft der Jn-
tuition, theils aber durch eine unaus-
gesetzte, beinahe wissenschaftliche Beob-
achtung der physikalischen Vorgänge.
Eine Act-Studie (Rückenansicht) zeigt,
dass der Meister geradewegs von den
grossen Zeichnern des 18. Jahrhunderts
stammt. Er hat dieselbe Wahrheit der
Linie, dieselbe vibrierende Weichheit des
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