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Auskunft geben. Aus den Titeln wird
man ohnehin wenig entnehmen. Sie
scheinen mit einem gewissen Vorbedacht
so gewählt zu sein, dass man nicht ohne-
weiters auf den Inhalt schliessen kann.
Sie haben etwas Räthselhaftes, Mystisches,
Religiöses. Ins Deutsche übertragen wurden
bis jetzt die Gedankenlese aus der Ab-
handlung: »Wie wir arbeiten und
wirtschaften sollen« und »Wege
zur Kunst« (2 Bände), übersetzt von
Jacob Feis, im Verlag von J. H. Ed. Heitz
in Strassburg.
Der ethische Kern hat bei Ruskin sich
in eine äussere Form gehüllt, welche mit
bewusster Absichtlichkeit den prophetischen
Ton annimmt. In seinem flammenden Zorn,
in den drastischen Gegenüberstellungen
und Übertreibungen, in den apokalyp-
tischen Bildern gleicht er den Patriarchen
des alten Bundes. Im vorigen Jahre war
in der Ausstellung von Photographien des
Wiener Camera-Club das Bild Ruskins
in der englischen Abtheilung zu sehen.
Die gedrungene Gestalt mit dem mächti-
gen Haupt; der furchtlose Blick der klaren
Augen; der feste Mund — dem nie ein
unwahres oder selbstsüchtig berechnendes
Wort entflohen — umrahmt von dem
mähnenhaften Haar und krausen Propheten-
bart; das so bezeichnende Zusammen-
schliessen der Finger bei der auf dem
Knie liegenden Hand: das alles gibt den
Mann, wie wir ihn uns aus seinen Werken
vorstellen können.
Wenn wir den so naheliegenden Ver-
gleich mit den alttestamentarischen Prophe-
ten näher bezeichnen wollten, so kommen
wir nicht zu Jeremias — bei dem uns
eher Thomas Carlyle einfällt — sondern
zu dem trost- und gnadenreichsten, zukunft-
erleuchteten und naturfreudigsten Seher:
Jesaias. Und so möchte ich mit diesen
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Worten schliessen (aus dem 65. Capitel),
die vielleicht als Gesammtüberschrift zu
John Ruskins Werken stehen könnten:
Denn ich recke meine Hände aus
den ganzen Tag zu einem ungehor-
samen Volk, das seinen Gedanken
nachwandelt auf einem Wege, der
nicht gut ist.
Ein Volk, das mich entrüstet, ist
immer vor meinem Angesicht, opfert und
räuchert auf den Ziegelsteinen; wohnt
unter den Gräbern und hält sich in den
Höhlen; fressen Schweinefleisch und haben
Greuelsuppe in ihren Töpfen.
Denn siehe, ich will einen neuen
Himmel und eine neue Erde schaffen,
dass man der vorigen nicht mehr ge-
denken wird, noch zu Herzen nehmen.
Sondern sie werden sich ewiglich freuen
und fröhlich sein über dem, das ich
schaffe. Und ich will fröhlich sein und
mich freuen über mein Volk; und soll
nicht mehr darinnen gehöret werden die
Stimme des Weinens, noch die Stimme
des Klagens.
Es sollen nicht mehr da sein Kinder,
die ihre Tage nicht erreichen, oder Alte,
die ihre Jahre nicht erfüllen. Sie werden
Häuser bauen und bewohnen; sie werden
Weinberge pflanzen, und derselbigen
Früchte essen. Sie sollen nicht bauen,
dass ein anderer esse. Denn die Tage
meines Volkes werden sein, wie die
Tage eines Baumes; und das Werk ihrer
Hände wird alt werden bei meinen Aus-
erwählten.
Ich will euch trösten, wie einen seine
Mutter tröstet.
Denn siehe, ich will einen neuen
Himmel und eine neue Erde schaffen,
dass man der vorigen nicht mehr
gedenken wird, noch zu Herzen
nehmen.
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