Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 168

Selbstbiographie Ein deutsches Drama (Altenberg, PeterSchmitz, Oscar A. H.)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 168

Text

SCHMITZ: EIN DEUTSCHES DRAMA.

nicht sehr geehrt, wenn er jetzt ein
Dichter ist! Ich gab ihm Freiheit. Ich
wusste, dass es ein Va-banque-Spiel sei.
Ich rechnete auf seine Seele!«

Jawohl, edelster merkwürdigster
aller Väter, lange habe ich Dein gött-
liches Geschenk der Freiheit missbraucht,
habe edle und ganz unedle Damen heiss
geliebt, bin in Wäldern herumgelungert,
war Jurist, ohne Jus zu studieren, Medi-
ciner, ohne Medicin zu studieren, Buch-
händler, ohne Bücher zu verkaufen,
Liebhaber, ohne je zu heiraten, und
zuletzt Dichter, ohne Dichtungen hervor-
zubringen! Denn sind meine kleinen
Sachen Dichtungen?! Keineswegs. Es
sind Extracte! Extracte des Lebens.
Das Leben der Seele und des zufälligen
Tages, in 2—3 Seiten eingedampft, vom
Überflüssigen befreit wie das Rind im
Liebig-Tiegel! Dem Leser bleibe es
überlassen, diese Extracte aus eigenen
Kräften wieder aufzulösen, in geniess-
bare Bouillon zu verwandeln, aufkochen
zu lassen im eigenen Geiste, mit einem
Worte sie dünnflüssig und verdaulich
zu machen. Aber es gibt »geistige
Mägen «, welche Extracte nicht vertragen
können. Alles bleibt schwer und ätzend
liegen. Sie bedürfen 90 Procent Brühe,
Wässerigkeiten. Womit sollten sie die
Extracte auflösen?! Mit »eigenen Kräften«
vielleicht?!

So habe ich viele Gegner, »Dys-
peptiker der Seele
« ganz einfach!
Schwer Verdauende! »Fertig werden«

ist für den Künstler alles. Sogar
mit sich selbst fertig werden
! Und
dann, ich halte dafür: Was man »weise
verschweigt« ist künstlerischer, als was
man »geschwätzig ausspricht«! Nicht?!
Ja, ich liebe das »abgekürzte Ver-
fahren
«, den Telegramm-Stil der
Seele
!

Ich möchte einen Menschen in einem
Satze
schildern, ein Erlebnis der Seele
auf einer Seite, eine Landschaft
in einem Worte! Lege an, Künstler,
ziele, triff ins Schwarze! Basta. Und
vor allem: Horche auf Dich selbst!
Gib Deinen eigenen Stimmen in
Dir Gehör
! Habe kein Scham-
gefühl vor Dir selbst
! Lasse Dich
nicht abschrecken durch ungewohnte
Laute! Wenn es nur die Deinigen sind!
Muth zu Deinen Nacktheiten!!

Ich war nichts, ich bin nichts, ich
werde nichts sein. Aber ich lebe mich
aus in Freiheit und lasse edle und
nachsichtsreiche Menschen an den Er-
lebnissen dieses freien Inneren theil-
nehmen, indem ich dieselben in ge-
drängtester Form zu Papier bringe.

Ich bin arm, aber ich selbst! Ganz
und gar ich selbst! Der Mann ohne
Concessionen!

Wohin bringt man es damit?! Zu
100 Gulden monatlich und einigen
warmen Verehrern.

Nun, die habe ich!

Ihr sehr ergebener
Peter Altenberg .


EIN DEUTSCHES DRAMA.
Von OSKAR A. H. SCHMITZ (Halensee).

Till Eulenspiegel heisst eine Ko-
mödie in fünf Aufzügen von Georg Fuchs.*
Man könnte gegen einen modernen Autor
misstrauisch sein, der sich diesen Helden
erwählt. Hat uns doch wohl alle der un-
geschlachte Bauernfopper des Volksbuchs
wenig ergötzt. Während sich alle Zeiten
um die Neugestaltung des Faust-, Don
Juan- oder Ahasver-Gedankens bemüht

haben, während das Schildbürgerthum
alle gesellschaftlichen Umwälzungen über-
lebt, ist die Gestalt dieses Flegels — meines
Wissens — seit dem 17. Jahrhundert —
dem letzten der deutschen Ohrfeigen- und
Fäcalkomik — in unserem Schriftthum
nicht wiedergekehrt. Es scheint, dass der
Eulenspiegelhumor, der sich in unflätiger
Besudelung von Trink- und Badestuben,

* Verlegt bei Eugen Diederichs, Florenz und Leipzig, 1899.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 168, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-07_n0168.html)