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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 170

Text

SCHMITZ: EIN DEUTSCHES DRAMA.

Frucht seiner That. Reift doch sein Werk
in der Brust des andern, der nicht ein-
mal den Streuer der Saat erkennt. Sein
Gegenspieler ist der selbstsüchtige, un-
schöpferische Rother.

»Er riss die Gottgeweihte vom Altare,
Die Frau des Bürgers aus dem Haus, er nahm
Dem Zöllner den Zoll, dem Schiffer die Ware,
Dem Bauern das Vieh, dem Krämer den Kram.»

Es scheint, als ob der lebensfeindliche
Dunstkreis dieses Mannes lähmend über
der Burg und ihren zurückgebliebenen
Insassen lastet. In dieser Burg, wo das
Leben schläft,

»Dem dumpfen Hafen
Der seelenlosen stillen Gährung«

hat sich Eulenspiegel als Thürmer ver-
dingt. Mit seinem Tagelied beginnt der
1. Act:

Eulenspiegel:

»Was Euch nur wuchs, erraffet,»
Die Frucht ist sonder Zahl.«

So tönt es in das Leben der Burg
mit seinen Möglichkeiten und keiner Er-
füllung. Sein Lied singt sich in der
Frauen Herz:

»Es ist,
Als ob er all unser Wollen wüsst.«

Das Wollen der wilden, übermüthigen
Titanietta, des Gauklerkindes mit prunken-
der Brust, die alle Herzen trunken macht,
die von dem träumt, der da kommen
wird und die alle andern verachten darf,
die träumt von der Jagd auf schnell ent-
führendem Ross — und wär’s der Ritt
in den Tod, das Wollen nach Macht und
Fülle:

Titanietta:

»Gold, o in die schweren, güld’nen, kühlen
Haufen die nackten Arme zu versenken
Und in gewichtiger voller Fülle wühlen.«

Also erkennt sie Eulenspiegel, »das
weiblichste Weib im Lieben und im
Hassen«:

Eulenspiegel:

»Jungfräulich schmachtest Du nach dem Be-
freier,
Nahm erst ein Starker Dir den Schleier,
Und hättest Du dein Bestes selig ihm gegeben,
Dann begönne erst Dein Leben.«

Aber ehe dieser eine kommt, ist sie
die Geissel der halben Männer, die ihr
sich selbst und ihr Gold zu Füssen legen:

Eulenspiegel:

»Macht willst Du und Ruhm und Gold,
Siehst Fürsten noch in Deinem Sold!

Auf einem rosinfarben Thiere,
Scharlaken zum Gewand,
Auf goldgehörntem Stiere,
Schaumbecher in der Hand,

Und trunken Deine Lippen,
Trunken von heiligem Blut,
Umstöhnt von erschlafften Gerippen,
Peitschend die brünstige Flut:

So fährst Du vollendet durch Dein Reich,
Frohlockst der grossen Babel gleich!
Unrein oder rein:
Was gilts? — Schlag ein!
So bist Du geboren, so sollst Du sein!«

Und gleicherweise erkennt er das
Wollen der halberschlossenen, verachteten
Emma, er erkennt ihr adeliges Blut und
ihre königliche Seele, er erkennt in ihr
das einzige Wesen, in welchem er nichts
aufzurütteln hat, das ihm alles von selbst
entgegenbringt:

Eulenspiegel:

Was ich in andern mächtig erst errege.
Das bringst Du voll Vertrauen mir zum Pfand,
Dass ich Dich stets auf meinem Wege
Neu finden darf, wie ich Dich fand,
Weil Du Dich selber mir gegeben,
Weil Du Dich mir aus Liebe gabst. —

Emma:

Von allem, was Du sprichst und gibst,
Versteh’ ich nur, dass Du mich liebst.

Eulenspiegel:

Emma. Jungfer Königin!

Eulenspiegel, Rother, Emma und Tita-
nietta, das sind die vier Ausnahmsgestalten
dieser Komödie, es sind vier Arten Mensch,
während die übrigen Mitspieler der einen
Art des Durchschnittes angehören, womit
natürlich nichts gegen die Dichtung ge-
sagt ist. Eulenspiegel und Emma sind
gebend und schöpferisch. Rother, der zer-
störende Nachtalbe, muss vor dem An-
sturm des Lebens fallen. Titanietta, das
Weib, kann gerettet werden durch den
»Arm, der mit Gewalt umwindet«, durch
den Liebenden, der naht der Braut. Sie
erkennt durch ihn ihr nichtiges, vernich-
tendes Sein:

Titanietta:

»Ach wär ich diesem leeren Nichts entronnen!
Könnt ich auch nur das Kleinste schaffen.
Ein weniges, dem ich mein Wesen lieh!
Ich kann nur reizen und vernichten.«

Gleichzeitig greift Eulenspiegel er-
füllend ein in die Geschicke der liebens-
würdigen Alltagsgestalten, indem er den

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 170, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-07_n0170.html)