Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 171

Ein deutsches Drama Über die Forderung von sogenannten Gedanken in der Dichtung (Schmitz, Oscar A. H.Schaukal, Dr. Richard)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 171

Text

SCHAUKAL: ÜBER DIE FORDERUNG VON SOGEN. GEDANKEN IN DER DICHTUNG.

alternden verstimmten Kaiser zum Leben
zurückführt, indem er das Sein der ge-
ächteten Maleine, Rothers Tochter, wieder
mittönen lässt in dem grossen Einklang
der menschlichen Gesellschaft, indem er
die Liebe des reizenden Königskindes
Magelone zu beglückendem Ende führt;
doch bleibt er stets gewissermassen hinter
der Scene. Durch geschickte, oft scherz-
hafte Verwicklungen lässt er diese umher-
tastenden Menschen selbst ihre Wege
finden. Überall zeigt er sich hier als der
freundliche Schalk.

Der grobe, grausame Spassmacher,
wie ihn das Volksbuch kennt, ist er nur
gegenüber dem verschlammten Dasein des
in »erbärmlichem Behagen« saufenden,
hurenden und prahlenden Pöbels, den er,
wie er will, zum Schaffen wie zur Ver-
nichtung führen kann.

Während er so den Zerstörer zerstört,
die Besten sich selbst finden lässt, die
Zaudernden zum Schaffen spornt, unter

die aber, welche im Trüben fischen wollen,
die Fackel seines boshaften Spottes wirft,
und auch sie dadurch zu ihrer groben
Arbeit treibt, überwindet er selbst die
sieben irdischen Mächte: Kirche, Kaiser,
Weisheit, Weib, Wein, Geld und Volk.
Frei und mächtig verlässt er das Land,
wo er Jugend, Leben und Schaffen er-
weckt, und wo sich der Geist regt, der
überall ist und den die träge Behaglich-
keit so leicht vergisst:

»Ist er in diesem Ährendrang erschlossen,
Flammt er am Tannentrieb in Kerzen auf,
Ward er im Honigseime süss ergossen,
Zehrt er das Gold vom Fels in feuchtem Lauf?

Streift er, ein Falter, auf besternter Heide,
Trägt er im Flügelpaare schwang’ren Staub,
Glüht er des Abends durch die blaue Weide,
Glühwürmchen grün und roth im kühlen Laub?

Hat ihn die Nachtigall mit Leid empfangen,
Singt er so süsse, singet er so leis’,
Aus tiefer Noth, mit bebendem Verlangen
Sein sehnsüchtiges Kyrie eleis? *

* Es schien dem Verfasser unangebracht, ein Stück zu kritisieren, ehe es die Leser
kennen. Er sah seine Aufgabe vielmehr darin, dem Publicum die Hauptgestalten näher zu
bringen und damit nachdrücklich auf die eigenartige Dichtung aufmerksam zu machen, der an
ästhetischem Wert kein modernes Werk ähnlichen Umfanges gleichgestellt werden kann.


ÜBER DIE FORDERUNG VON SOGENANNTEN GEDANKEN
IN DER DICHTUNG.
Von Dr. RICHARD SCHAUKAL (Brünn).

Einer Erwägung scheint mir der Um-
stand wert, dass es noch immer zur Kunst
in Beziehung stehende Menschen gibt, die
durchaus unfähig erscheinen, eine Schöpfung
anders als auf ihre Deutlichkeit für den In-
tellect zu prüfen. Von den zahlreichen Hand-
langern der sogenannten Kritik will ich hier
gar nicht reden, deren jeden besseren Ge-
schmack beleidigende Art, sich mit Dich-
tungen zu beschäftigen, leider freilich nur
allzuviele Bekenner unter den Hörern und
Lesern ihrer armseligen Berichte zählt.
Fast ausnahmslos ist auch der beliebte
Tummelplatz solcher »Referenten« eine
Zeitung, die sich an die Herde wendet,
und mit dem Herdengeschmacke zu

rechnen, fällt den traurigen Felderhelden
umso leichter, als sie selbst niemals in
besseren Gehegen zu wandeln auch nur
den mindesten Anstand besassen und daher
mit dem Hasse und der Verachtung der Unbe-
mittelten an den Gittern vorüberschleichen,
hinter denen die Vornehmen und Wohl-
geborenen der Kunst sich an der Grazie
und Schönheit gemessener Spiele freuen.
Sie haben auch ihre Dichter und Maler,
diese Pöbelführer und Marktschreier,
ein kraftloses Geschlecht öder Epigonen,
auf deren schwerfälligen Füssen der Staub
vielbereister Strassen liegt. Wenn sie sich
nur nicht unterweilen erkühnten, wider-
standsunfähige Todte in ihre Kreise zu

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 171, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-07_n0171.html)