Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 172

Über die Forderung von sogenannten Gedanken in der Dichtung (Schaukal, Dr. Richard)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 172

Text

SCHAUKAL: ÜBER DIE FORDERUNG VON SOGEN. GEDANKEN IN DER DICHTUNG.

beschwören und zu dem Klange tönender
Namen ihre literarischen Rüpeltänze auf-
zuführen. Diese, wie gesagt, anders als
mit knappen abweisenden Worten zu er-
wähnen, verbietet der Ernst meiner Unter-
suchung.

Ich will von denjenigen reden, die man
gerne zu Verständigen machte, mit denen
man zumeist, aus der Einsamkeit der Ge-
danken in die harte Helle der Rede tretend,
die »Erscheinungen« unserer Zeit bespricht,
und von ihrer auffallenden Unvermögenheit,
sich mit Schöpfungen zu befreunden, die
anders sind als jene der landläufigen Ver-
treter der Künste.

Man findet sie häufig unter den bes-
seren der »Gebildeten«. Sie wollen kennen
lernen und haben einen regen Sinn für
neue Art, begreifen auch schnell und
sicher die Darbietungen des jungen Kunst-
handwerks, selbst mit der Musik um der
Musik willen können sie sich befreunden,
nur die Dichtung, als das heitere Spiel
mit den Worten, wollen sie nicht an-
nehmen. Sie gehen immer dem nach,
was sie den Gedanken nennen, behaupten
erst zu geniessen, wenn sie »verstehen«
und lassen sich niemals anders als mit
einem argwöhnischen Lächeln, das Über-
legenheit andeuten soll, über eine Kunst
Aufschlüsse ertheilen, die in sich selbst
Zweck und Grund, Anfang und Ende hat.
Es ist nicht etwa das unverstandene,
todtgehetzte Schlagwort l’art pour l’art,
das man des weiteren mit einer Kunst
für Fachgenossen, mit der Afterbildung
der Literatenpoesie in Zusammenhang
brachte, von dem hier die Sprache ist;
ich will mich bemühen, aufzuzeigen, dass
jedes wahrhaftige Werk eines Künstlers
Grösseres will, als einem sogenannten Ge-
danken mit dem Mittel mehr oder minder
gut gesetzter Worte zur Deutlichkeit zu
verhelfen und dass damit gar nichts Uner-
hörtes und Gewaltsames einer kleinen
Gemeinde von Fremdlingen gemeint ist,
sondern dass die echten Künstler aller
Zeiten, von Sophokles bis auf Stefan George,
hierin einander verwandt sind, während
mit derselben Sicherheit die Ahnenreihe
der Nichtkünstler unter den »Poeten«
Glied um Glied von den zahllosen Ur-
enkeln bis in die ältesten Zeiten sich ver-
folgen liesse.

Eine Dichtung — das einfachste Lied
und die formvollendetste Tragödie — ist
die Antwort eines Dichters auf einen Reiz.
Der Reiz (das Stimulans) kann ein Ge-
danke, ein Erlebnis oder ein Wunsch sein.
(Ich fasse diese Worte umfänglicher, als
sie der Gewohnheit sich darstellen, unter
dem Erlebnis z. B. begreife ich auch den
Anblick, das Vernehmen durch das Ohr,
einen körperlichen Schmerz.)

Der Reiz, den ich als »Wunsch« zu
bestimmen mir die Freiheit nahm, ist
gegenwärtig in einer Generation fein-
sinniger »Dilettanten« vorherrschend. (Auch
dieses Wort gebrauche ich in seinem höch-
sten, besten Sinne: es gibt grosse Künstler,
die zeitlebens Dilettanten waren und die
sich heute stolz so nennen würden; ich
denke an Platen, an die Dichter der
italienischen Rennaissance.)

Wenn den Dichter etwa ein Erzeugnis
der bildenden Kunst »anregt», mag der
Wunsch ihn reizen, in seinem Stoffe mit
dem Marmor zu wetteifern. Wir Mittel-
und Süddeutschen, die wir so viele Culturen
hungrig in uns aufgenommen, »wünschen«,
wenn wir Dichter sind, mit diesen Culturen
in einem schönen Umfangen zu ringen.
Andere — die Nordländer vor allem —
werden zumeist von den Erlebnissen be-
wegt, die eine mitleidlose Natur und harte
Menschen an ihnen wirken. Alle diese
Dichtungen aber sind etwas anderes als
Darlegungen eines vorher gefassten Ge-
dankens, wenn auch Gedanken oft — ich
meine etwa Dante, Nietzsche — zwingende
Forderungen von Gedichten sind.

Dass kein Gebiet der Poesie völlig
»gedankenlos«, ohne Sinn und Verstand,
sein dürfe, dass die zur Manier und Manie
ausartende blosse Aneinanderfügung von
Klangwirkungen — der spätere Mallarmé
— nicht mehr Poesie zu nennen, sondern
als Verirrung übertriebener Gegensatz-
sucht zu kennzeichnen, jeder klare Be-
urtheiler das Recht hat, wird hier nicht
angezweifelt.

Aber wenn man sich den Vorgang
bei der Schöpfung eines Gedichtes ver-
gegenwärtigt, muss man diese Macht, die
den Dichter zwingt, als eine fremde
Göttin ehrfüchtig hinnehmen und nicht mit
den Ansprüchen, die man etwa an eine
Abhandlung oder einen Aufruf zu stellen

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 7, S. 172, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-07_n0172.html)