Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 183

Text

SCHAUKAL: KNABE UND HERRIN.

Der Knabe.

Du ahnst es nicht, wie Deine Worte strafen.

Die Frau.

Ich will nicht strafen, um nicht zu verzeihen.

Der Knabe.

O lass Dir meine stillen Qualen künden!
Der Abend war’s, da Dich der fremde Ritter,
Der Herr von Xanten, dem die rothe Narbe
So männlich-muthig durch die Wange glüht,
Dessen herrisches und wie in Stolz verharrendes Schreiten
Rachegedanken an seiner Verwegenheit wachrief,
Mit seinen hämischen und wie sorglos lächelnden Worten
Pries und laut und scheulos um Deine Farben
Dich, die Erröthende, fast doch Erzürnte, ansprach.

Die Frau.

Standest Du hinter dem Stuhle? Ich weiss Dich mir nimmer zugegen.

Der Knabe.

Wohl, ich war’s. Und höher und zorniger schwoll mir
Die des Waffenkleides noch nicht gewürdigte Brust.
Hätt’ ich den Dolch besessen, mit dem Du einst spielend mir drohtest.
Damals in glücklicher’n Zeiten, da ich Dir wirklich ein Kind war,
Tief in das Herz ihm hätt’ ich den scharfen gestossen,
Damals, Herrin, im Zorne, verstarb mir die Kindheit,
Und in der Lohe der unehrerbietigen Worte
Wuchs mir Dein Wesen zur Qual der entfesselten Wünsche.
Wie ein Träumender war ich bisher und plötzlich ganz Wachen;
Seit dem Tage verzehrt sich in Angst und bleichendem Sinnen
Mein ohnmächtiges Wollen — und heute hat es gesprochen.

Die Frau.

Du sollst mir in den Kampf, dem Herrn will ich sagen,
Dass er Dir Wehr und Helm und eine Fährte gibt,
Auf der Dein Ross nach einem Gegner schreitet.
Ich aber will an Deinem Ehrentag
Dir in die Welt, in der Du mich vergessen
Und rasch und anderssüchtig still begraben wirst,
Mit meinem Schleier ein Geleite winken,
Dann in die Kammer geh’n und um die Jugend weinen.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 183, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-08_n0183.html)