Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 184

Vom Pessimismus in der modernen Gartenkunst (Strindberg, August)

Zum TEI/XML Dokument

Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 184

Text

VOM PESSIMISMUS IN DER MODERNEN GARTENKUNST.
Von AUGUST STRINDBERG (Lund).*

Gestern morgens wurdest Du nahezu
davon überzeugt, dass Du alt geworden
seiest, weil Du Dich gerührt fühltest, als
Du die Stockrosen beim Waldwärter sahst.
Wie hübsch Du sie fandest, diese Blumen
Deiner Jugend, die vor den offenen Wegen
der Rabatten salutierend standen im Garten
Deines Vaters! Doch Du schämtest Dich
auch ein klein wenig gestern morgens, dass
Du die Stockrosen hübsch zu finden wag-
test, diese unmodernen Papierblumen, die
Du verachten lerntest, als Du Mann wurdest,
indem Du Dir einzubilden vermochtest, sie
seien hässlich! Du hattest noch andere
Schimpfnamen für sie als Papierblumen,
den die Gräfin Dich lehrte; Du wusstest
sie Bohnenstangen und Lumpenfräuleins
zu nennen, und noch viel garstiger! Doch
gestern morgens fandest Du, dass sie
wieder schön seien, und Du sassest den
ganzen Tag an Deinem Fenster und sahst
über die Landstrasse nach ihnen. Es war
eine grosse, reiche Gruppe in vielen Schat-
tierungen, von weiss über fliederfarbig,
rosa, schwefelgelb, anilinviolett bis zu
purpur und blutroth hinauf; doch alle
Farben stimmten in einen einzigen klin-
genden Accord zusammen, und das lichte,
gedämpfte Grün der Blätter bildete eine
weiche, wohllautende Dominante zu dieser
Tonmasse, die so vollstimmig wie eine
Orchesterpartitur war.

Und Du wurdest froh als wärest Du
von neuem jung: Du bekamst sonnige
Gehörs- und Gesichtshallucinationen mitten
am Vormittage!

Du sahst Kindergesichter und Nessel-
tuchkleider, hörtest Lieder, die nicht mehr
gesungen werden, aber in den vielen stau-
bigen Fächern Deines Gehirns vergessen
lagen, hinter Reihen von Büchern in
braunem Leder und weissgelbem Perga-
ment; Du sahst die Schöne in dem schla-
fenden Walde, Rothkäppchen und Däum-
ling, Rübezahl und den Scalpjäger Ver-
stecken spielen zwischen dem grossen

Vignettenlaub und unter den feinen
Märchenbuchblüten.

Aber dann wurde Dir Deine Freude
leid! Leid, denn Du wusstest vielleicht
besser als mancher, dass man das Ver-
flossene nicht lieben darf, dass man das
Alte nicht ungestraft bewundern darf;
und Du hattest ganz neuerdings gelesen
und —was schlimmer war — selbst ge-
schrieben und gar noch dazu drucken
lassen, dass es ein sicheres Zeichen des
Alters sei, wenn man beginne, seine Jugend
zu bewundern!

Und in Deiner Betrübnis giengst Du
wieder aus, kamst an der Hütte des
Käthners vorbei; und hinter den iri-
sierenden dunklen Scheiben bekamst Du
die Pelargonien Deiner Jugend zu sehen!
Und Du wurdest wieder froh, von neuem
gerührt und wiederum betrübt!

Und dann bewundertest Du Deinen Muth,
dass Du die weissen Pelargonien Deiner
Jugend lieber zu haben wagtest, deren
Blüten einem Schwarme weisser Schmetter-
linge mit Purpurflügeln glichen, der sich
auf das dunkelgrüne Laubwerk nieder-
geschlagen hat; dass Du sie lieber hattest
als die rothen Scharlachpelargonien, die
Deine Kindheitpelargonien verdrängten
und mit denen Du Dich niemals recht aus-
söhnen konntest, weil sie in der Farbe
roh waren und gegen das Grün simpel und
bäuerisch-vulgär abstachen, wie eine rothe
Hütte gegen den Fichtenwald. Doch die
Zeit gieng dahin, Du konntest Deinen
Unwillen gegen den eindringenden Barbaren
nicht überwinden, und eines schönen Tages,
als Du selbst Pelargonien haben wolltest,
waren keine anderen zu bekommen als diese
Dienstmädchenrosen! Die Zeit war an Dir
vorbeigegangen, die Mode hatte Dich von
allen Seiten gedrückt und Du erlagst der
Barbarei — Du und die hübschen frohen
luftigen farbenreichen Pelargonien Deiner
Jugend! Du musstest Scharlachpelargonien
kaufen, denn Du fandest keine anderen!

* Autorisierte Übersetzung aus dem Schwedischen von Emil Schering.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 184, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-08_n0184.html)