Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 188

Vom Pessimismus in der modernen Gartenkunst Leben (Strindberg, AugustMeyer Förster, Elsbeth)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 188

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MEYER-FÖRSTER: LEBEN.

verabscheuungswürdigen Coleus bereits im
Gärtchen eines Bauern gesehen; da hat er
nicht mehr weit bis zum Armenhause!
Daher ziehe ich eine Platterbse einem
Pampasgras vor!

Dies war eine Degenerationsrichtung in
der Gartenkunst! Doch es findet sich auch
ein gesunder Entwicklungsgang in der
modernen Blumencultur, und da bin ich
dabei, auch auf die Gefahr hin, mich der
Ideale meiner Jugend schämen zu müssen.

Da haben wir zuerst die Rosen, die
hochstämmig geworden sind! Ich will aller-
dings nicht meinen frohen Glauben an
die Provinrosen meiner Jugend abschwören,
oder an die unvergesslichen Moosrosen,
die gern hätten leben können, da sie die
anderen leben liessen. Ich will nicht be-
haupten, dass die Buschform natürlicher
sei als der Stock mit dem Kehrwisch,
denn die wilde Rose wächst ja wie ein
Bund Rotang. Jedem das Seine: die
Stammrosen Maréchal Niel, Gloire de
Dijon, die Rothschilds und andere sind
Meisterwerke der Menschenhand, die es
hier verstanden hat, Farben in den feinsten
Nuancen zu mischen!

Die Levkojen meiner Jugend muss ich
im Vergleich mit den neueren weniger
bewundern, wenn auch meine Liebe un-
vermindert ist. Wir hatten höchstens drei
einfache Farben, ohne die Zwischentöne!
Jetzt haben sie ganze Sonaten entwickelt
und combiniert, die wir gezwungen werden

hoch zu bewundern; und sie haben wie
der Rosierist die Farben auf der Palette
eines Künstlers gemischt, nicht sie neben-
einander gelegt oder zusammengerührt
wie der rohe Tulpenmacher.

Ich muss die Zinnianeuheiten bewun-
dern, weil sie den Sammetblütlern über-
legen sind. Ich beuge mich ohne Wider-
willen vor Tritoma uvaria mit ihrem co-
rallen- dann orangerothen Kolben, die
einen Kopf höher ist als die anderen. Die
japanische Anemone ist ein luftiger Elegant,
die einfache Dahlie ist lichtvoll, die Lo-
belia und die blaue Gentiane waren will-
kommene Verstärkungen in der wenig
zahlreichen Reihe der Blaublütler; die
Begonien, unschätzbare subtile Nachfolger
der Balsaminen; die Gloxinien modernere
Impressionisten als der Kistenmaler der
Aurikeln. Und als ich im Sommer auf
der Ausstellung in Kopenhagen zwei
Gruppen sah, die eine mit Gladiolus und
die andere mit Cyclamen, von welchen
ich behaupte, Rubens und van Huysum
wären genöthigt gewesen sich verloren
zu geben, da habe ich dem Kaiser ge-
geben, was des Kaisers ist.

Vorwärts ist es gegangen, doch durch
die Jammerperiode des Coleus — des
Missmuts, der Entartung, der Müdig-
keit — die ich nach Coleus benennen
möchte! Der gräuliche Coleus und die
Coleusperiode!


LEBEN.
Skizze von ELSBETH MEYER-FÖRSTER (Grunewald bei Berlin).

In einer sehr freien Gesellschaft gieng es
so zu: Zwei ältliche Mädchen — Malerinnen
oder Componistinnen, es mochten aber
auch Schriftstellerinnen gewesen sein —
waren vom Wein und der guten Gelegen-
heit etwas animiert und küssten ihren
Freund, den Kunstkritiker, bald auf die
Wange, bald auf den Bart, immer ab-
wechselnd, so dass sie sich, um zu ihm
zu gelangen, manchmal gegenseitig ein
wenig beiseite schieben mussten. Er küsste
sie wieder — das heisst, eigentlich nur

die eine von ihnen, die noch leidlich jung
und frisch war. Sie hatte Formen wie
eine Stallmagd, voll, blühend, beinahe
kolossal, und einen Mund wie ein Stück
brennendes Siegellack. Ihr Athem war von
einer matten, süssen Fadheit, als hätte sie
Obst gegessen, Birnen und Weintrauben,
und der Kritiker, der nüchtern geblieben
war an Getränken, fühlte einen leisen,
fast widerwilligen Rausch aufsteigen. —
Die zweite war nicht schön; sie war
blass und eckig, aber ihre Mundpartie

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 188, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-08_n0188.html)