Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 182
Knabe und Herrin (Schaukal, Dr. Richard)
Text
Die Frau.
Also liebst Du mich und verdenkst mir den Zweifel der Ältern?
Kind, eine Jungfrau erwähle, die gleich Dir noch erröthet und zittert.
Der Knabe.
Sagt zur Eiche: Wende doch Deinen Schatten!
Wenn sie der Sonne gehorcht, die mächtiger ist und gebietet!
Die Frau.
Du verzeihst. Es scheint mir so unausdenkbar,
Dass Du mich lieben solltest, die nicht mehr zum Tanze ins Grün läuft,
Die mit verwelkender Stirn die Jahre der Ehe berechnet,
Der die Tochter im Haus weilt, — die längst der Gatte erschöpft hat.
Der Knabe.
Denkst Du doch selber nicht so, wie Du mit Worten auch künstelst,
Herrliche Frau, deren Athem mir Sinn und Sagen gelähmt hat,
Deren Gestalt, erblick’ ich sie fern, mich verstört und ängstigt,
Meine Hände erblassen, meine Kniee zittern und schwach macht,
Deren Gruss mich durchfährt wie der Pfeil aus zielender Armbrust,
Die meine Nächte verdirbt mit herzverwirrenden Wünschen,
Sag’ mir, Musik meines armen, in Sehnen verzehrten Lebens,
Sag’ mir endlich, ob Du mich erhörst und begnadest!
Die Frau
(nach einem ernsten Schweigen).
Ich will Dir Deine raschen Worte nicht verweisen,
Das Knie Dir nicht entzieh’n, an dem Du gerne lehnest;
Doch müsst’ ich’s, würdest Du nicht anders werden.
Denk’, gutes schönes Kind, an mich in Freude.
— Ich danke Deiner Freude, sie verjüngt mich —
Doch ford’re nicht, dass ich in Liebe Dir
Mich mit den nicht mehr unberührten Lippen nahe,
An Deinen schmalen Körper meinen müden bette,
Der schamhaft Deinem Siegen sich entwände.
Der Knabe.
Du sprichst von Müdigkeit, der ich durch weite Auen
Auf meinem Pferde kaum zu folgen dachte,
Die hellen Aug’s, den Reiher auf dem Handschuh,
Zur Beize ritt und kaum den Sattel liess,
Wenn hoch der Mittag und die Sonne glühte.
Die Frau.
Es ziemt mir nicht, Dich anders zu betrachten,
Als wie ich Dich bei Festen pfleg’ zu schauen,
Da Du behutsam über breite Stufen
Die Schleppe mir der Schreitenden emporträgst.
Und dass ich gerne Deine Lieder höre,
Dich frohen Blickes prüfend, wie Du schöner
Und höher wirst im Feuer Deiner Stimmung,
Dünkt mich nicht ungemessen und zu rügen,
Ich könnte alle Frauen sorglos fragen.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 8, S. 182, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-08_n0182.html)