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der Entfernung und kann das Brechen des
Bandes mit sich führen, und damit den Tod.
Seit mehreren Jahren habe ich Auf-
zeichnungen von allen meinen Träumen
gemacht, und ich bin zu einer Überzeugung
gekommen: dass der Mensch ein doppeltes
Leben lebt, dass die Einbildungen, die
Grillen, die Träume eine Art Wirklich-
keit besitzen, so dass wir allzusammen
geistige Somnambulen sind und im Traume
Handlungen begehen, die durch ihre wech-
selnde Beschaffenheit uns während des
wachen Zustandes verfolgen mit dem Gefühl
der Befriedigung oder dem bösen Gewissen,
der Furcht vor den Folgen. Und aus
Gründen, die ich mir das Recht vorbehalte,
ein andermal darzulegen, glaube ich, dass
die sogenannte Verfolgungsmanie oft einen
guten Grund hat in der Gewissensqual
nach schlechten Handlungen, die man im
»Schlaf« begangen hat und von denen
neblige Erinnerungen bei uns spuken. Und
die Phantasien des Dichters, die beschränkte
Seelen so verachten, sind Wirklichkeiten.
Und der Tod? fragt Ihr.
Dem Muthigen, der nicht allzu grossen
Preis auf das Leben setzt, würde ich
folgendes Experiment empfohlen haben,
welches ich zu wiederholtenmalen gemacht
habe, nicht ohne beschwerliche, aber in
allen Fällen ohne schwer heilbare Folgen.
Nachdem Thüren, Fenster und Ofen-
luken geschlossen sind, stelle ich eine
geöffnete Flasche mit Cyankalium auf den
Nachttisch und lege mich aufs Bett.
Die Kohlensäure der Luft macht binnen
kurzem die Blausäure frei, und die bekann-
ten physiologischen Erscheinungen geben
sich zu erkennen. Ein gelindes Zusammen-
schauern der Kehle und ein unbeschreib-
licher Geschmack, den ich aus Analogie
»blau« nennen möchte, Lähmung des
Biceps, Schmerzen im Magen.
Die tödliche Wirkung der Blausäure
ist noch immer ein Mysterium. Ver-
schiedene Autoritäten geben verschiedene
Wirkungsarten dieses Giftes an. Einer
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sagt: Gehirnlähmung; ein anderer: Herz-
lähmung; ein dritter: Erstickung als
secundäre Wirkung davon, dass das ver-
längerte Mark angegriffen wird u. s. w.
Da indessen der Effect sich augen-
blicklich zeigen kann, ehe eine Absorption
stattgefunden hat, muss die Wirkungsart
vielmehr als psychisch betrachtet
werden, wenn man Rücksicht nimmt auf
den Gebrauch der Blausäure in der
Medicin als beruhigendes Mittel in soge-
nannten nervösen Krankheiten.
Alles, was ich sagen möchte von dem
Seelenzustand, der sich nun offenbart, ist
Folgendes:
Es ist nicht ein langsames Auslöschen,
es ist vielmehr eine Auflösung, in der das
Angenehme die unbedeutenden Schmerzen
überwiegt.
Der innere Sinn gewinnt an Klarheit,
gerade entgegen dem Verhältnis beim
Herannahen des Schlafes, der Wille hat
die Macht, und ich kann das Experiment
dadurch abbrechen, dass ich den Kork
auf die Flasche stecke und das Fenster
öffne, Chlor oder Ammoniak einathme.
Nicht, dass ich viel darauf halte, aber
falls der temporäre Todeszustand der
Fakire durch einen Beweis bestärkt werden
kann, würde das Experiment ohne Gefahr
fortgesetzt werden können. Und im Falle
eines Unglücks müsste man die verschie-
denen Arten versuchen, mit denen man
zu Wege geht, um einen Erstickten zum
Leben zurückzurufen. Die Fakire wenden
warme Umschläge auf die Gehirnhalb-
kugel an; die Chinesen wärmen die Magen-
grube und rufen Niesen hervor. In seinem
ausgezeichneten Buche Le Positif et le
Négatif (Paris, Lemerres Verlag, 1890)
erzählt Vial nach Trousseau und Pidoux:
»Carrero erstickte und ertränkte im
Jahre 1825 eine grosse Anzahl Thiere,
die er nachher zum Leben zurückrief,
sogar lange nach ihrem Tode,* dadurch,
dass er ihnen ganz einfach Nadeln ins
Gehirn steckte.« (Acupunktur).
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