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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 9, S. 208

Text

DES DICHTERS FREUNDIN.
Von PETER ALTENBERG (Wien).

Er lernte sie in einem Garten kennen.

Der Abend sog den feuchten Duft von
überall her ein. Hie und da kam starker
Blütenduft, man wusste nicht von welcher
Stelle und von welchen Blumen. Plötzlich
ein Duft und vorüber. Dann gieng irgend
jemand im Parke irgendwohin, verspätete
Gärtnergehilfen, Wanderer.

Der Dichter dachte: »Schrecklich
plaudert sie in mich hinein. Störe doch
nicht diesen Abend, welcher Schweigsam-
keiten verkündet!« Sie erzählte von ihrem
Bräutigam, erzählte, erzählte — — —.

Nach einem Concerte kam dieser an
sie heran, welche ganz müde dasass und
berührte unerhört liebevoll ihre Geige.
Dann drückte er die Schnecke der Geige
an seine Lippen, trotzdem er nur ein
Kaufmann war.

»Wenn er die Schnecke nicht an seine
Lippen gedrückt hätte!? So aber gewann
er mich für immer. Wie ein Dichter war
er damals.«

Der Dichter geleitete sie nach Hause.
Er empfand, dass eine gute Seele, eine
zarte treuherzige, sich aussprechen wollte
mit ihm, wie das Dienstmädchen mit dem
Beichtvater.

Sie sagte: »Darf ich wieder kommen
in den Garten?!«

»Kommen Sie.«

Jener, welcher die Schnecke der Geige
an seine Lippen gedrückt hatte, schrieb:
»Ich freue mich, dass Du einen Dichter,
einen »Adeligen der Seele«, wie Du Dich
ausdrückst, gefunden hast, welcher unsere
Beziehung versteht und wie alles hat so
kommen müssen und nicht anders hat
sein können. Halte Dich an ihn, meine
Geliebte.«

Eines Tages kam sie in den Garten
zu dem Dichter, setzte sich auf die Bank
bei der Bärenburg und weinte.

Er kaufte Brot und fütterte die Bären,
von welchen einer blind war und schreck-
lich bemitleidet wurde vom Publicum. Er

war aber am gemästetsten, weil alle nur
diesen berücksichtigten und die anderen
hatten von ihrem Sehen gar nichts.

Dann wandte sich der Dichter um
und sah die Weinende.

Er drehte sich wieder herum zu den
Bären und verscheuchte den gemästeten
Blinden und begünstigte die mageren
Sehenden.

Zwei Tage blieb das junge Mädchen aus.

Am dritten Tage erschien sie wieder.

»Was machen unsere Bären?!« sagte sie.

Eines Tages aber sagte sie: »Mein
Bräutigam hat mir abgeschrieben. Es ist
aus«.

Dann fütterten sie die Bären.

»Weshalb?!« sagte der Dichter.

»Ihrethalben.«

Der Dichter fütterte die Bären und ver-
stand gar nichts. Auch das junge Mädchen
verstand nicht viel und sah hinunter in
den Bärenzwinger.

Eines Tages schrieb der Bräutigam
an den Dichter: »Sie haben ein gefähr-
liches Spiel getrieben mit Menschenherzen.«

Die junge Dame wurde krank und
gieng in eine Heilanstalt. Dort besuchte
sie der Dichter.

Ein junger Arzt, welcher sie elektrisierte,
schien rasend in sie verliebt zu sein.

Sie sagte zu dem Dichter: »Was
machen unsere Bären?!«

Der Dichter sah, dass sie ziemlich
heruntergekommen war.

»Wir sind schon wieder ausgesöhnt,«
sagte sie zu ihm, »Gott sei Dank.«

»So?!« sagte er und sah, dass sie
ganz heruntergekommen war.

»Sie müssen viel schlafen und rohe
Eidotter trinken.«

»Pardon,« sagte der junge Arzt, »das
wäre nicht ganz am Platze. Eine verfehlte
Methode. Sie muss elektrisiert werden.«

Der Dichter gieng.

»Grüssen Sie unsere Bären« sagte sie.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 9, S. 208, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-09_n0208.html)