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Stuhle. Ich war in der Augustiner Kneipe
und hatte vergessen, zu wem ich sprach,
als ich wieder anfieng auf folgende
Weise:
»Warten Sie! Ich bin bei den Augu-
stinern, aber ich weiss sehr wohl, dass
ich an einem anderen Orte bin; sagen Sie
nichts ich kenne Sie nicht wieder,
aber ich weiss, dass ich Sie kenne. Wo
bin ich? — Sagen Sie nichts, das ist in
dem Grad interessant «
Ich machte eine Anstrengung, um die
die Augen aufzuheben — weiss nicht, ob
sie geschlossen waren — und ich sah
einen Nebel, einen Hintergrund von un-
bestimmtem Farbenton, und oben von der
Decke herab senkte es sich wie ein
Theatervorhang: das war die Scheidewand,
besetzt mit Regalen und Flaschen.
»Ja so!« äusserte ich erleichtert wie
nach einem überstandenen Schmerz, »ich
bin ja bei Herrn F.« (so hiess der Wein-
händler).
Das Gesicht des Officiers war zu-
sammengezogen vor Schreck und er weinte.
»Was, Sie weinen?« sagte ich zu ihm.
»Das war schauerlich,« antwortete er.
»Was denn? «
Wenn ich diese Geschichte anderen
Personen erzählt habe, hat man einge-
wandt, dass es eine Ohnmacht war oder
ein Rausch, zwei Worte, die nicht viel
sagen und nichts erklären.
Fürs erste und vor allem wird eine
Ohnmacht von dem Verlust des Bewusst-
seins begleitet, ebenso der Rausch, und
weiter von einer Muskellähmung, was
hier nicht der Fall war, zumal ich auf
meinem Stuhl sitzen blieb und bewusst
über meine partielle Unbewusstheit sprach.
Zu diesem Zeitpunkte kannte ich weder
die Erscheinung, noch den Ausdruck:
Exteriorisation der Sensibilität.* Jetzt, da
ich sie kenne, bin ich dessen gewiss, dass
die Seele das Vermögen besitzt, sich aus-
zudehnen, und dass sie während des ge-
wöhnlichen Schlafes sich höchlichst aus-
dehnt, um zum Schluss, im Tode, den
Körper zu verlassen und keineswegs aus-
gelöscht zu werden.
Vor einigen Tagen, als ich ein Trottoir
entlang gieng, sah ich vor mir einen Gast-
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wirt vor seiner Thür laut und böse mit
einem Scherenschleifer, der auf der Strasse
hielt, Worte wechseln. Es war mir zu-
wider, die Linie abzuschneiden, die diese
beiden Individuen zusammenband, aber es
konnte nicht umgangen werden, und ich
versichere, dass ich ein starkes Unbehagen
empfand, indem ich den Zwischenraum
zwischen den beiden zankenden Männern
überschritt. Es war, wie wenn ich eine
zwischen ihnen gespannte Linie entzwei-
schnitte oder vielmehr über eine Strasse
gienge, die man von beiden Seiten mit
Wasser bespritzt.
Das Band, das es zwischen Freunden
gibt, zwischen Verwandten und in höch-
stem Grade zwischen Gatten, ist ein wirk-
liches Band und von einer greifbaren
Wirklichkeit.
Wir beginnen ein Weib zu lieben, in-
dem wir bei ihr Stück für Stück unserer
Seele niederlegen. Wir verdoppeln unsere
Persönlichkeit, und die Geliebte, die früher
gleichgiltig war, neutral, beginnt sich in
unser anderes Ich zu kleiden, und sie wird
unser Doppelgänger. Wenn es ihr einfällt,
mit unserer Seele fortzugehen, ist der Schmerz
darüber vielleicht der heftigste, den es gibt,
nur vergleichlich mit dem der Mutter, die
ihr Kind verloren hat. Ein leerer Raum
kommt auf, und wehe dem Manne, der
nicht über die Stärke verfügt, seine Zwei-
theilung wieder zu beginnen und ein anderes
Gefäss zum Füllen zu finden.
Die Liebe ist ein Act, durch den die
männliche Blüte sich selbst befruchtet,
weil es der Mann ist, der liebt, und es
ist eine süsse Illusion, dass er von seiner
Frau geliebt wird, seinem anderen Ich,
einer Schöpfung von ihm selbst.
Zwischen Gatten offenbart sich oft das
unsichtbare Band auf eine mediumartige
Weise, und man kann einander von Ferne
rufen, die Gedanken des anderen lesen,
gegenseitig Suggestion ausüben, wenn man
will. Man fühlt nicht mehr das Bedürfnis,
mit einander zu sprechen; man freut sich
über die blosse Gegenwart des geliebten
Wesens, man wärmt sich an der Strahlung
ihrer Seele, und wenn man an getrennten
Orten ist, dehnt das Band sich aus: das
Vermissen, das Sehnsuchtsweh wächst mit
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