|
Mannheit wie diese vereinbar ist mit
Lasterhaftigkeit der Seele, mit niedriger
Sorge, mit heimlich nagender und zehrender
Wohllust, mit hämischem Neid, mit Reue,
mit bewusster Empörung gegen die Ge-
setze Gottes und der Menschen, deren
Gehorsam unumgänglich nöthig ist zur
Herrlichkeit des Daseins und zum Wohl-
gefallen des Schöpfers.
Es kann natürlich nicht bestritten
werden, dass viele von den stärksten
Meistern tiefe Charakterfehler hatten, aber
dann offenbarten sich diese Fehler auch
in ihrer Arbeit selbst. Manche vermochten
ihre Leidenschaften nicht im Zügel zu
halten; sie starben jung oder malten schwach,
indem sie älter wurden.
Wie ich bereits angedeutet habe, lassen
sich die grössten Meister nach zwei Haupt-
kategorien unterscheiden; diejenigen, welche
ein naturgemässes und einfaches Leben
führten, und diejenigen, welche in einem
strengen Puritanismus der Schönheitsan-
betung zurückgehalten wurden. Diese
beiden Lebensweisen können wir an ihren
hinterlassenen Schöpfungen sofort erkennen.
In der Regel sind die Naturalisten die
stärksten, aber es gibt zwei unter den
puritanischen, deren Werke ich in den
drei Jahren meines Wirkens hier an der
Universität klar zu machen hoffe. Den
Namen des einen, eines Venetianers, kann
ich nicht nennen, * bevor es mir gelungen
ist, ein Werk von ihm nach England zu
bringen. Von dem anderen wissen wir nur
den Taufnamen, Bernhard oder Bernhar-
dino, nach seinem Geburtsort Luino am
Lago Maggiore Bernhard von Luino
genannt.**
Achten wir also wohl darauf, dass
dieser Puritanismus in der Anbetung der
Schönheit, erscheint er auch hin und
wieder zart und schwächlich, stets liebens-
wert und ehrwürdig ist. Von dem falschen
Puritanismus unterscheidet er sich in seiner
innersten Natur, denn dieser besteht,
im Gegensatz zu dem echten, in der
Furcht und Verachtung der Schönheit! —
Um meinen Gegenstand jetzt erschöpfend
zu behandeln, sollte ich nunmehr von der
|
Geschicklichkeit in der Ausübung zur
Wahl des Gegenstandes übergehen, um
zu zeigen, wie der ethische Wille des
bildenden Künstlers sich offenbart,
indem er Formen und Gedanken zu
verkörpern sucht nur durch die Kraft des
Ausdruckes, dessen die Hand fähig ist.
Lange hat es gedauert, bis ich selber zu
erkennen vermochte, wie gerechtfertigt
der Stolz der grössten Meister auf ihre
blosse technische Ausdrucksfähigkeit, sozu-
sagen auf ihre »Handschrift« an sich,
immer gewesen war und sein muss. Sie
ist uns überliefert aus den ältesten Zeiten,
vom Wettstreit zwischen Apelles und
Protogenes nur eine einzige Linie —
deren Bedeutung wir noch kennen lernen
werden — von dem Kreise des Giotto
und vor allem in der Aufschrift Dürers
auf den Zeichnungen, welche Raphael
ihm schickte. Diese Figuren, sagt er, hat
Raphael gezeichnet und selbige an Albrecht
Dürer nach Nürnberg gesendet, um ihm
zu zeigen — was? Nicht seine Erfindungs-
gabe oder die Feinheit seines Ausdruckes
im einzelnen, sondern nur, um ihm »seine
Hand zu weisen«. —
Indem wir tiefer untersuchen, werden
wir finden, dass alle untergeordneten
Künstler fortwährend versuchen, die Noth-
wendigkeit genauer, gewissenhafter Arbeit
zu umgehen; während die grossen Meister
sofort erkennen, dass die oberste Tugend
eines Malers, wie eines jeden anderen
Berufsmenschen, darin besteht, sein Hand-
werk zu beherrschen. Und so ernst nehmen
sie es in diesem Punkte, dass viele von
ihnen, deren Leben — wie man vielleicht
aus ihren Werken irrthümlich schliessen
könnte — scheinbar in wilder Leidenschaft
schwelgte, in Wirklichkeit, obwohl sie der
stärksten Leidenschaften fähig waren, voll-
kommen heiter und abgeklärt war, wie
die glatte Spiegelfläche eines geschützten,
tiefen Bergsees, welcher jede Verschiebung
der Wolken am Himmel und jeden Wechsel
der Schatten auf den Haiden zurückgibt,
während er selber unbewegt bleibt.
Die Wahrheit in diesen Dingen ist
vielfach verschleiert worden durch den
|