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gleichen, die zu Thaten aufrufen. Jede
grosse Sprache fordert grosse Dinge; sie
können nicht nachgeahmt werden, ausser
durch Gehorsam; ihr Athem ist Inspiration,
nicht allein wohllautend, sondern lebendig.
Ihr könnt nur so sprechen lernen, wie diese
Männer, wenn Ihr so werdet, wie sie
waren.
Wir gehen nun zu den Künsten über,
welche uns hier im besonderen beschäftigen
und, obwohl die Thatsachen genau dieselben
sind, mir grössere Schwierigkeiten bereiten,
meine Behauptung zu beweisen, weil nur
wenige von uns die Bedeutung der Malerei
kennen, wie die der Sprache; ich vermag
nur zu zeigen, woraus dieser Wert ent-
springt, nachdem ich ausführlich erläutert
habe, worin er besteht. Unterdessen kann
ich vorläufig schon sagen, dass die Künste
der Hand ebenso wichtige und deutliche
Zeugnisse des ethischen Lebens sind, wie
andere Ausdrucksmittel; erstens mit unbe-
dingter Sicherheit desjenigen des Arbeiten-
den und dann mit Bestimmtheit, obwohl
häufig durch störende Einflüsse verschleiert,
desjenigen Lebens der Nation, der er an-
gehört.
Zunächst also sind sie ein genauer
Exponent des Geistes des Arbeitenden.
Wenn nun dieser Geist bedeutend und zu-
sammengesetzt ist, so ist auch seine Kunst
nicht immer ein leichtes Buch zu lesen.
Wir müssen selber die geistigen Buch-
staben kennen, deren zusammengesetzte
Zeichen wir lesen sollen. Niemand vermag
die Spuren der Arbeit zu verstehen, der
nicht selber arbeitsam ist, denn er weiss
nicht, was die Arbeit gekostet hat. Eben-
sowenig kann er die Zeichen echter
Leidenschaft verstehen, wenn er nicht
selbst leidenschaftlich ist, noch die edle
Zartheit, wenn er nicht selber edel und
zart ist. Und die feinsten und versteck-
testen Anzeichen von Schwächen und
Fehlern kann er nur wahrnehmen, wenn
er mit denselben Schwächen zu kämpfen
hatte. Ich selber erkenne beispielsweise
hastige, ungeduldige Arbeit und müde,
abgespannte Arbeit besser, als die meisten
Kritiker, weil ich selbst fast stets unge-
duldig und oft müde bin; deshalb erscheint
mir auch die nie ermüdende und geduldige
Hand eines gewaltigen Meisters staunens-
werter, als anderen. Aber es wird Euch
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allen ebenfalls wunderbar erscheinen —
sobald wir unsere wirkliche Arbeit be-
ginnen und begriffen haben, was das heisst,
eine wahre, schöne Linie zu zeichnen —
wenn ich Euch zeige, dass das Tagewerk
eines Mannes, wie Mantegna oder Paul
Veronese in einer beharrlichen, ununter-
brochenen Folge von Bewegungen der
Hand besteht, präciser als die Bewegungen
des besten Fechters. Indem der Stift ar-
beitet, setzt er an einem Punkte an und
gelangt zum Endpunkte, nicht nur mit
absoluter Sicherheit am Ende der Linie,
sondern mit einem sicheren und dennoch
wechselnden Lauf, manchmal über Ent-
fernungen von einem Fuss und darüber,
dabei so genau überall, dass jeder von
diesen Meistern, wie es Paul Veronese
häufig thut, ein fertiges Profil oder einen
anderen Theil des Kopfumrisses zeichnen
konnte, mit einer Linie, an der später
nichts mehr geändert wird. Vergegen-
wärtigen wir uns zunächst, welche Prä-
cision der Muskeln in dieser Thätigkeit
liegt und die intellectuelle Anspannung
dabei; denn die Bewegung des Fechters
ist vollkommen in geübter Monotonie;
aber die Hand des grossen Malers wird
in jedem Augenblick geführt durch un-
mittelbar bewusste und neue Absicht.
Stellen wir uns also die Festigkeit
und Subtilität der Muskeln vor und die
wählende und augenblicklich ordnende
Energie des Gehirnes den ganzen Tag
hindurch aufrecht erhalten, nicht nur
ohne Ermüdung, sondern mit sichtbarer
Freude in der Ausübung, derjenigen ver-
gleichbar, welche der Adler fühlen mag
im Schlag seiner Fittige; und dies durch
das ganze Leben, durch langes Leben
nicht nur ohne sichtbaren Kraftverlust,
sondern mit deutlicher Zunahme der Kraft
bis zu den eigentlichen organischen Ver-
änderungen des Greisenalters. Und dann
bedenken Sie, wofern Sie etwas von Phy-
siologie kennen, welch eine Summe
ethischer Qualitäten des Geistes und Kör-
pers darin enthalten sein muss! Ethisch
durch zurückgelegte Jahrtausende der
Höherentwicklung. Welche Feinheit der
Rasse muss vorhanden sein, um diese
Stufe zu erreichen; welches Ebenmass
und Gleichgewicht der vitalen Kräfte!
Und dann fragen Sie sich einmal, ob eine
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