Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 226

Gift Ein Brief (Altenberg, PeterSchwaiger, Hans)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 226

Text

EIN BRIEF HANS SCHWAIGERS.

»Man muss ewig turnen, Mama, nicht
nur drei Jahre lang bei Chimani.‹«



Die Dame sagte beim Souper: »Dodo
trägt keine steifen Krägen mehr seit heute.«

Der Vater dachte: »Diesen Trick mit
den elektrischen Kabeln hätte niemand
anderer für meinen Clienten herausgetüftelt
als ich, als ich!«

Dann sagte er: »Wie meinst Du,
Mama?!«

»Nichts — — —« sagte die Dame
und strich die Salzfässer glatt und drückte
kleine herzige Monde hinein mit der
Messerspitze.



Das Fräulein Dodo trug dennoch nicht
lange weiche seidene Umlegekragen oder
sogar den Hals ganz bloss.

Tante Z. hatte nämlich zu Mama
gesagt: »Weisst Du, was es ist?! Ein
Scandal ist es, meine Liebe.«

Aber abends, manchmal, wenn das
junge Mädchen im Bette lag, nahm sie
den alten Zeitungsausschnitt und las wie
in einer Bibel die Forderungen der ver-
ehrten und geliebten unbekannten eng-
lischen Dame und dachte: »Mein Töch-
terchen wird freien Hals tragen und schön
und stark sein, dass sie nackend durch
die Strassen schreiten könnte in Wind
und Regen! Mein Töchterchen!«


EIN BRIEF HANS SCHWAIGERS.

An die verehrte Redaction der
»Wiener Rundschau«.

Sehr geehrt durch Ihre werte Zu-
schrift, erlaube ich mir, Ihrem Wunsche
gemäss, Folgendes über mein Leben mit-
zutheilen:

Im 54er Jahre in Neuhaus in
Böhmen geboren, habe ich als Sohn einer
Kaufmannsfamilie von meiner frühesten
Jugend an Gelegenheit gehabt, alle
Schwächen eines Provinzialstadt-Honora-
tioren-Philisteriums kennen zu lernen, was
in mir den Widerwillen gegen alles ge-
macht wohlanständig kriechende Menschen-
gewürm grosszog. Dieses führte einen
Umschlag ins Gegensätzliche bei mir
herbei, so dass ich (nach absolviertem
Untergymnasium und Ober-Realschule in
die Handelsschule gesteckt) gegen den
Willen der wohlanständigen Familie ein
unanständiger Maler wurde, und das mit
ganzer Hingebung und zum äussersten
Kampfe bereit.

Die Familie entzog mir unter dem
Verwande mein Erbtheil, dass ich selbes
ohnehin anbringen würde. So kam ich
um meinen Pflichtteil, mit dem ich
meine Schulden hätte bezahlen können,
und verfiel somit, aller Mittel entblösst,
gedrückt von Schulden (nachdem ich in

der Akademie nicht das fand, was ich
suchte), auf die Idee, ganz aufs Land zu
ziehen und ernste Arbeit zu beginnen.
Aus dem Ärgsten half damals Makart,
Klaus, Pirner und Miethke. Dort be-
gann ich in der Art ganz nach meinem
eigenen Gutdünken zu arbeiten, wie ich
heute noch arbeite; dort machte ich
meine meisten Studien und die Wieder-
täufer.

Makart hat mich an Graf Wilczek
sen. empfohlen; und als man mich auch
dort aufgehetzt, nahm mich der Graf
nach Seebarn bei Korneuburg, wo ich
drei Jahre durch seine Güte geborgen
war und alle die Sachen wie: Galgen-
mandel, Rübezahl, Hauff’sche Märchen,
Chancer Canterbury Tales, Ahasver etc.
machte. Von dort kam ich nach Prag,
um einem Verleger ein Ausstellungslocale
einzurichten, und kam es auch da zu
einer Collectiv-Ausstellung mit viel Lob,
ich aber in weitere Schulden. Da fand
ich einen Freund, der mir die Mittel frei-
willig zu einer Reise nach Belgien und Hol-
land anbot, und mir ward dadurch die
Gelegenheit, die alten Niederländer, meine
Lieblinge seit meiner Jugend
, so
wie meine zweite Heimat kennen zu
lernen. Die dortigen Fischer etc. bestä-
tigten meine Ansicht, das »gut grob«

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 226, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-10_n0226.html)