Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 229

Ehe Über Hans Schwaiger (Asenijeff, ElsaLindner, Anton)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 229

Text

LINDNER: ÜBER HANS SCHWAIGER.

In der Seele der jungen Frau wieder-
hallte es schmerzlich dissonierend: »Mühe-
volle Arbeit
«.

Dies tugendhafte Wort roch förmlich
nach Schweiss. Pfui!

Sie verkroch sich tiefer in die Scham-
haftigkeit ihrer Seelengeheimnisse, wo die
seligen Verjüngungsfluten strömten. Dort
badete sie im Vergessen des Gewöhn-
lichen. Mann, Weib, Fessel, Ehesclaverei,
Unglück, alles versank. Zauberisch stieg
aus dieser Menschenseele der ewig neu-

geborene Gottmensch Schöpfer empor, der
eine Welt aus dem Nichts dichtet.

Sie schuf eine herrliche Welt aus
nichts, aus dem Alltag ihres Gatten,
welcher, die Hände in den Taschen,
gähnend vor ihr stand; aus dem verbrannten
Gras und den zertretenen Kieswegen.

Sie dichtete das Herrlichste, was sein
konnte. Etwas, das immer starb und
ewig neugeboren wurde. Auf den Purpur-
harfen ihrer Seele vibrierte das süsse,
thränenheisse Lied vom All-Leben
von ihrem Leben.


ÜBER HANS SCHWAIGER.
Von ANTON LINDNER (Wien).

»Mann mit dem Antlitz einer bebrillten
Ratte« — so kann man itzt bei Miethke
zu Hans Schwaigers Selbstporträt sprechen
und diesem Conterfey in Demuth Reverenz
machen.«

»Wofern es wahr ist, Mann, dass
Dein ergetzlicher Nasengrat so blitz und
blank zwei listigliche Äuglein trennt, ein
hürnen Oculare trägt, gigantisch, wie zwo
Theetassen, und über dem Seegras Deines
Schnauzbartes fast wie ein Lanzknecht
auf Posten steht —«

»wofern es wahr ist, Mann, dass die
Staffelbeine Deines Rumpfes dürr sind,
wie geknickte Schachtelhalme, und dass
Du in engsten Hosenschläuchen und weissen
Filzschuhen über die Bohlen Deines
Alkovens hüpfst —«

»wofern es wahr ist, Mann, dass
Dein Oberleib kürzer ist als Dein Unter-
leib, und dass Dir Gesslers Hut wie ein
Mauerschwamm aus dem Haupte wächst —«

»wofern es wahr ist, Mann, dass Du
daheim in Deinem Urwald von morgens
bis abermorgens aus Kalkpfeifen, Thon-
pfeifen, Holzpfeifen zum Himmel qualmst,
auf schweinsledernen Hundertpfündern
brütest und trockene Maikäfer zu Farben
verreibst —«

»wofern es wahr ist, Mann, dass Du
wie weiland Hans Grimmelshausen an
Teufel, Hexen und Galgenmännchen, in-

sonderheit aber an Wunschdinge, Spring-
wurzeln und heilige Vögel glaubst — —:«

»dann neige ich mich, Hans Schwaiger
de la Mancha, in Demuth vor Deinem
Angesicht. Denn sieh: dann kündest Du,
Dein Werk, Dein Leben die Eintracht,
Einheit und süsse Harmonia, von der
einst Simplicius Simplicissimus, der Stief-
sohn eines slavonischen Gauklers, in Sehn-
sucht und holder Rührung geträumt!
Denn sieh: dann ist Dein Schaffen wie
Du, Dein Wachen wie Du, Dein Träumen
wie Du — und jeder Pinselstrich, den
Du malst, jeder Athemzug, den Du hauchst,
ist Eins mit Dir, Eins in Dir, Eins wie
Gott und Welt. Das wär’ ein Gott, der
nur von aussen stiesse! Wie würdest Du
lachen, Schwaiger, käm’ solch ein Jammer-
gott Dir in den Weg! Auf Künstlern
aber, die nicht von aussen stossen, liegt
Sommersegen, das weisst Du. Sie lieben
sich, weil sie ihre Kunst lieben. Sie lieben
ihre Kunst, weil sie sich selber lieben.
Sie verzagen nie, weil sie der Anderen
nicht bedürfen. Denn sie können nicht
wider sich selbst. Man setze sie in die
Amethystfauteuils der Herzogin von West-
minster, in die Dschungeln Hinterindiens,
zwischen die Eisquadern der arktischen
Zone, auf den schiefen Thurm Pisas, in
die Lavafluten des Ätna: stets werden sie
ihr tönend Herz bewahren, mit Kinder-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 229, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-10_n0229.html)