Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 234

Über Hans Schwaiger (Lindner, Anton)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 234

Text

LINDNER: ÜBER HANS SCHWAIGER.

vor, bald ahmt er gobelinartige Muster
nach, bald mystifiziert er durch uralte
Rahmen und halbverwitterte Heiligen-
scheine. Auf Launen versteht er sich er-
klecklichst. Nie und nirgends ist er lang-
weilig. Pinsel, Kreide, Feder, Bleistift —
— alle Waffen gehorchen ihm. Und
strömen einzelne seiner Naturstimmungen
in Öl — trotz ihres lebhaften Blattgrüns
— pastosen Athem aus und kann man
sich manchmal nur mühsam des Geist’s
der Schwere erwehren, so entschädigt
doch immer das Leichte, Ätherische,
Körperlose seiner kleinen und grossen
Aquarelle, die selbst rein coloristisch von
unvergleichlichem Zauber sind. Man sehe
nur, wie er in seiner »Alten Schleuse«
die Nuancen Grün und Gelb mit wahr-
haft lyrischem Auge und einer Künstler-
hand, die ihresgleichen sucht, harmonisch
zu verweben weiss. Das gleiche Problem
— wohl eines der schwierigsten und
modernsten! — löst er in jenem Still-
leben, das einem Messingkessel das lichte
Grün eines Steinkrug’s gesellt. In Halb-
und Dritteltönen, die ineinanderklingen,
berauscht er die Feinschmecker. Und
wahrlich, durch das Beseelende seiner
Farben entrückt er das Alltäglichste der
Alltäglichkeit, weckt Quellen idealisierender
Kräfte, die lieblich und warm sein Werk
durchströmen, und grüsst uns bei all sei-
ner Märchenseligkeit als Realist im in-
nigsten Sinne dieses Wortes.

Märchen, noch so wunderbar,
Malerkünste machen’s wahr.

So ist er, mit da Vinci zu reden, ein
Sohn — und nicht ein Enkel! — der
Natur. Wir aber erheben uns, ihm in
Verehrung zu danken.

Ob er wohl — man vergleiche die
gute Befürchtung in seinem Briefe —
»ausser Lob noch etwas« finden wird
in unseren Mauern?

»Hic frigent artes«, »hier frieren die
Künste«, schrieb Erasmus von Rotter-
dam seinem Basler Freunde, dem grossen
Holbein, in einen Geleitsbrief. Und Hol-
bein, des Hungerns müde, zog nach Ant-
werpen. »Sonst noch etwas« fand er
im Vaterlande nicht. Das Genie eines
Dürer hat daheim in Nürnberg im Ver-
laufe von 30 Jahren kaum 500 Gulden
erarbeitet. Auch er zog nach Antwerpen,
wo er stürmisch gepriesen wurde. »Sonst
noch etwas
« fand er nicht.

Aber wie wäre es möglich, dass
heute noch ein Talent von urwüchsiger
Gewalt, das nicht kriechen will, verküm-
mern sollte? Nicht mehr haben sollte als
Dürer, der »ein tzymlich gutn hawsrott,
gute Kleyder, von tzynn gescher, guten
wertzeug, Petgewant, truhn und behelter,
mer um 100 fl. reinisch gute Farb« —
sonst aber gar nichts — sein Eigen
nannte? Als man vor kurzem das Wiener
Rathhaus ausstaffieren liess, gedachte man
Schwaigers nicht. Er, der seine decora-
tive Macht schon mehrfach durch Fres-
ken erwiesen (Grabkapelle des Freiherrn
v. Loudon in Bistritz, Kapellen und
Schlosshöfe zu Pruhonitz beim Grafen
Sylva-Tarouca, zu Mittersill beim Grafen
Larisch), fürwahr, er wäre der Mann ge-
wesen, den Herren vom edelen Rathe
eine Frouwe Justitia an die Wand zu
werfen, dass ihnen das Poculieren ver-
gangen wäre!

Bleib’ still im Blockhaus Deiner Kar-
pathen und kau’ an Deinen Knochen,
Ratte. Nicht kälter ist es Dir drüben als
hier. Kein Erasmus schreibt Dir einen
Geleitbrief. Frigentne hic artes?


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 234, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-10_n0234.html)