Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 233

Über Hans Schwaiger (Lindner, Anton)

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Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 233

Text

LINDNER: ÜBER HANS SCHWAIGER.

vergisst er nur selten, die Hintergründe
in grotesker Zerklüftung zu formen, und
scheint mir als Fabulist ein Schwind, der
ein Stündchen bei den Bauern und Spuk-
gestalten der Breughels, ein Viertelstünd-
chen bei den Felsblöcken und Schaum-
cascaden der Ruysdaels geschlafen.

Eklekticismus also? Ja wohl. Aber
dieser Eklekticismus ist in seiner Unbe-
wusstheit ebenso wundersam wie erklärlich.
Ein intuitiver Eklekticismus des Instinctes,
der sich nichts erborgen will von ande-
ren, doch vieles schlummern fühlt in seinem
Bereich, das anderen schon angehörte
und durch diese anderen nicht erst ge-
weckt wird. Und wenn auch Schwaiger
erst in späten Jahren Gelegenheit fand,
mit holländischen Fischern und Flick-
schustern Karten zu spielen, so war er
doch schon in Zeiten, da er’s kaum selber
ahnte, vielleicht schon als Neuhauser
Prügelknabe, ein freier Bürger jener stolzen
Lande, die er jetzt seine »zweite Hei-
mat
« nennt.

Wir tragen alle unsere »zweite Heimat«
in uns, wir, die wir in Trauer schreiten
und nur ihr Spiegelbild empfinden, weil
uns die einfältige Überlegenheit des All-
tags von ihren Schwellen schreckt. Nennt
man Heimat den Jammernamen, den uns
der Gendarm oder die Hebamme aufs
Stempelpapier kratzt? Vanitas, vanitatum
vanitas!
Wir alle sind Deserteure, oft ist
uns ein Gedanke, ein Ton, ein Mädchen
Heimat genug, und also stirbt fast jeder
Dritte heimlich an einem Heimweh, dem
nicht zu wehren war.

Bei Schwaiger tritt ein Moment hinzu,
das nicht zu übersehen ist. Ein glückliches,
denn es verhinderte den tödtlichen Con-
flict und liess sein Schaffen doppelt leben,
wo das der anderen Zwiespältigen ver-
blutet wäre. Sein durchaus malerischer Sinn
umzäumt ihm seine Sehnsucht. Nämlich:
das Zweitheimatliche seiner Niederlande
reduciert sich fast nur auf das Verschleierte,
Nebelhafte, Gedämpfte jener lichtbrechenden
und auflösenden Stimmung, die er (ins
Dürftige variiert) als erstheimatlich in
seinen Karpathen liebt. Das Todtenlinnen,
das ewig in den Wipfeln seines Urforstes
lagert, die Blockhütte mit faulem Holz-

geruch füllt und Zipperlein ins Haus
bringt, zittert auch zwischen den schmalen,
spitzbethürmten Giebelbauten und carmin-
rothen Backsteinhäuschen, die er aus
Flandern in Leinwandrollen heimgebracht.
Die Dämmerung über den Canälen, zwi-
schen den Dreh- und Zugbrücken und in
den Gipfeln der Baumreihen, die zu beiden
Seiten lange Wasserstreifen umsäumen —
— das Halb- und Helldunkel in den
schmalbrüstigen Bürger- und Bauern-
stuben, das sich im Ansturm der Mittags-
strahlen zu warmer Goldglut lichtet oder
im Widerspiel der Wolken- und Nebelflore
zu kühlem Grau verrieselt — — die
Schattenspiegelungen auf Meer und Land
und auf dem Pflaster der Schmalgassen
und Tümpel — — das Derbe, Kräftige,
Unmittelbare einer selbstbewusst und
charakteristisch geschnitzten Rasse: —
— — dies alles war ihm nur Anstoss,
die Eigenart seiner primären Anlage in
seiner alten, nun voller tönenden Linie
zu entfalten, denn seine Kräfte hatten
sich just an den gleichen Naturphänomenen
im heimatlichen Flachlande gebildet und
thaten es nicht minder, als sich nach
seiner Rückkehr die Schwere des kar-
pathischen Bleihimmels in seinen Pinsel
legte und statt der holländischen Würstel-
krämer, Klöpplerinnen und Strassenkehrer
wallachische Bäuerinnen und Landstreicher
der Glorificierung harrten. So wandelte
sich die »Steen Straat Antwerpens«, die
einen aufdringlichen Goldton nicht ver-
leugnet, in ein »Wallachisches Gehöft«,
das diesen Goldton niederländischer Reflexe
ganz homogen zu einem Holzton wallachi-
scher Bretterhäuser travestiert.

Oder die »Holländische Windmühle«
wird zu einer »Wallachischen Wind-
mühle». Am lehrreichsten aber scheint
eine »Böhmische Bäuerin«, die so nieder-
ländisch im Aufbau der Einzelheiten ist,
dass man sich füglich wundert, warum
sie nicht Van Houtens Cacao in ihrer
Tasse feilhält. Auch eine »Wallachische
Bäuerin«, die — meisterhaft auf wein-
gelbes Holz gemalt — aus Rembrandt-
sepia hervorwächst, gibt mancherlei, doch
minder Boshaftes zu denken.

Fast alle Techniken beherrscht Hans
Schwaiger mit reizvollster Sicherheit.
Bald täuscht er reliefähnlichen Zierat

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 3, Bd. 1, Nr. 10, S. 233, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-03-01-10_n0233.html)